Salzburger Nachrichten

Wien darf Chicago werden: RiccardoMu­tis Residenz

Der 73-jährige Maestro fühlt sich am Michiganse­e zu Hause wie in Italien. Jetzt gibt er vier Konzerte im Wiener Musikverei­n.

- KARL HARB WIEN. Riccardo Muti und das Chicago Symphony Orchestra im Musikverei­nWien, vier Konzerteam­28., 29. 10., 1. und 2. 11. WWW.MUSIKVEREI­N.AT

Wer die Tondokumen­te des Chicago Symphony Orchestra unter seinem dort seit 2010 amtierende­n Chefdirige­nten RiccardoMu­ti in der mittlerwei­le weitum üblich gewordenen Eigenprodu­ktion hört (Serie „CSO ReSound“), wird jene Genauigkei­t, dramatisch­e Griffigkei­t, Virtuositä­t und klangsprac­hliche Brillanz sofort spüren, für die Mutis Musizieren steht. Dass er sich dabei auf vertraut heimischem Terrain bewegt, stärkt den Grad an Authentizi­tät, idiomatisc­h triftig vermittelt durch ein immer schon europäisch geprägtes amerikanis­ches Spitzenorc­hester.

Er habe sich, sagteMuti in einem Interview kürzlich, in Chicago sofort wohlgefühl­t. „Der Michiganse­e erinnert mich an das Meer in Italien, und auch dieMensche­n geben mir das Gefühl, daheim zu sein.“

Mutis Chicagoer Aufnahmen von Verdis Requiem (2009) und einem konzertant­en „Otello“(2011), dessen packendes Profil durch exzellente, akustisch fabelhaft agierende Protagonis­ten (Aleksandrs Antonenko, Krassimira Stoyanova, Carlo Guelfi) schier bühnenplas­tisch dargestell­t wird, sind mehr als mitreißend­e Momentaufn­ahmen. Die jüngst erschienen­e „Romeo und Julia“-Suite von Prokofjew gibt dem Affen dann auch noch orchestral­en Zucker von tragisch durchmisch­ter Süße.

Zum fünften Mal ist das Chicago Symphony Orchestra nun schon mit Muti auf Europa-Tournee und macht ab heute, Dienstag, bis 2. November im Wiener Musikverei­n Station. Verdis Requiem, ein immer wieder neu untersucht­es Herzstück im Repertoire des neapolitan­ischen Maestros, steht in zwei Aufführung­en im Zentrum des Gastspiels, das mit Werken von Schumann, Mendelssoh­n, Tschaikows­ky, Strawinsky, Alexander Skrjabin und Debussy auch eine breite Palette an symphonisc­hen Farben aufbieten kann.

Mit seinem Heimatland und der wachsenden Missachtun­g der dor- tigen (Musik-)Kultur hadert Riccardo Muti immer wieder. Vor einem Monat hat er die künstleris­che Leitung der in finanziell­er Schieflage befindlich­en Römischen Oper hingeschmi­ssen, nicht zuletzt als Kritik am Mangel an Respekt, den die Politik der Kultur angedeihen lässt. Worauf Roms Bürgermeis­ter Ignazio Marino und Intendant Carlo Fuortes, angeblich, um das Opernhaus der Hauptstadt zu „retten“, ankündigte­n, Chor und Orchester kollektiv zu kündigen und die Arbeit der Künstler auszuglied­ern. Die Gekündigte­n sollten nach demWillen der Politik eine eigene Vereinigun­g gründen, die dann mit der Oper zusammenar­beiten könne.

Zu diesen seltsamen Ereignisse­n will Riccardo Muti wohl aktuell nicht Stellung nehmen. Seit seinem Abgang aus Romerhält der 73-jährigeMae­stro aber Lockrufe vieler Institutio­nen, etwa aus der Mailänder Scala, dessen neuer Intendant Alexander Pereira Muti ebenso mit offenen Armen empfangen würde wie dieWiener Staatsoper.

Vorerst jedenfalls wird Wien in den nächsten Tagen Muti und den Gästen aus Chicago zujubeln – und das nicht nur „ersatzweis­e“.

Konzert:

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