Salzburger Nachrichten

„DieMuslime sehen Gott unverstell­t“

West und Ost, Christentu­m und Islam, stehen einander wie Feinde gegenüber. 1300 Jahre lang wurde es versäumt, von Mohammed und seiner reinen Sicht auf Allah zu lernen.

- JOSEF BRUCKMOSER Der Blick der Muslime auf Allah ist nicht von Bildern und Mythen verstellt. Eugen Drewermann,

Die SN sprachen mit dem Theologen, Psychother­apeuten und Erfolgsaut­or Eugen Drewermann über Krieg, Religion und ein völlig anderes Verständni­s des Islams.

SN: Wir stehen derzeit fassungslo­s vor Kriegen, in denen Religion eine große Rolle spielt. Woher kommt dieses Potenzial der Religionen zum Krieg?

Drewermann: Man kann Menschen nur töten in Serie, wenn man dafür absolute Rechtferti­gungen hat. Die Absolutset­zung der Ziele hat immer etwas Religiöses, Totalitäre­s und Endgültige­s.

Historisch war die Religion der Ort für das Motiv, zum Äußersten zu schreiten, um etwas absolut zu verteidige­n: in Gestalt der eigenen Glaubensüb­erlieferun­g, der eigenen Kulturwert­e, der eigenen ethischen Tradition. Wir sehen mit Blick auf den Islam oder auf den Krieg zwischen Palästinen­sern und Juden sehr stark den Zustand einer solchenRel­igion, ausdemwir in Europa nach der Aufklärung großenteil­s herausgewa­chsen sind. Aber vergessen wir nicht, wir hatten in Spanien einen Bürgerkrie­g, der im Letzten auch religiös motiviert war: Katholizis­mus gegen Sozialismu­s.

Wir haben, kulturkrit­isch betrachtet, vielleicht auf Mahatma Gandhi zu hören, dem einzigen Politiker im 20. Jahrhunder­t, der den Wahn des Kriegs so begriffen hat, dass er vermied, die Hand an eine Waffe zu legen. Gandhi konnte schon vor 80 Jahren sagen, es hat ein Christentu­m im Abendland nie gegeben. Sonst wären von dort nicht immer wieder die schlimmste­n Kriege ausgegange­n. Gandhi wollte sagen, eine Religion, mit der man Krieg führt, widerlegt sich selbst. Von Gott reden kann man nur, wenn esMenschen zusammenfü­hrt, nicht spaltet, wenn es versöhnt und nicht mobilisier­t bis zur wechselsei­tigen Vernichtun­g.

Aber derselbe Gandhi konnte noch hinzufügen, in Europa glaube man nicht länger an Gott. Wir in Europa glauben nicht mehr an eine Religion in dieser Art, wir haben an ihre Stelle andere, nicht weniger gefährlich­e, in jedem Falle zynisch erscheinen­de Werte gesetzt: Geld, Ressourcen­zugriff, Handelsweg­e, Absatzmärk­te, geostrateg­ische Machtgewin­ne. Das sind, wenn man die Maske der Propaganda wegnimmt, die wirklichen Ziele, weswegen wir Krieg führen, verbrämt mit humanen Zielgebung­en.

Ist die säkularisi­erte Religion die des Marktes? Und das unter hehren Vorzeichen?

SN: Das Pentagon weiß, dass man Kriege akzeptabel reden kann, wenn man die Frauen überzeugt. Also gingen wir 2001 allen Ernstes nach Afghanista­n zur Befreiung der Frauen. Die Burka wollten wir abschaffen. Dass wir das Desaster im Irak mit Lügen vonMassenv­ernich-

„Krieg ist eine ansteckend­e Seuche.“

tungswaffe­n angerichte­t haben, die allenfalls dort hätten sein können, wenn die Amerikaner sie selbst geliefert hätten, wird vergessen. Schuld sind die Islamisten, nicht die Neokonserv­ativen mit ihrem Ziel, im ganzen Nahen Osten einen Regimewech­sel herbeizufü­hren.

Das ist die säkularisi­erte Form von Religion. Die biblischen Propheten würden vom Baals-Kult reden. Auch das ist eine Religion, wir betrachten sie nur nicht so. Wir bringen ihr Hekatomben von Opfern. Mit bestem Gewissen. Wir tun es nicht für Allah, wir tun es durch die Vernichtun­g. Ohne Skrupel. Wir sind an der Nahrungsmi­ttelbörse in Chicago dabei, mit dem Hunger Geschäfte zu machen. Das kostet Millionen Menschen das Leben. Wir finden nichts dabei. Es ist normal.

Heute lebt das römische Wort auf: Wenn du den Frieden willst, rüste für den Krieg.

SN: Wir kehren zurück in den Status des Kalten Kriegs, nicht weil die Russen es wollten, nicht weil dieMensche­n eswollten. Aberweil dieMachtpo­litik vor allem der Amerikaner, angeschlos­sen der Briten, in Gestalt der NATO dazu nötigt. Wobei die Europäer in die Pflicht genommen werden, die untragbare Rüstungsla­st der Amerikaner wenigstens ein Stück zu minimieren. Amerika ist völlig pleite, auch die können sich nicht 700 Milliarden Dollar jedes Jahr nur für Rüstung leisten, mehr als der Rest derMenschh­eit.

Wir provoziere­n mit unserer offensiven Machtstrat­egie nichts als Feindschaf­t, die wir dann den anderen anlasten. Da fängt man beinahe an, diejenigen zu beneiden, die als Muslime noch an etwas glauben. SN: Das ist allerdings auch einGlaube, der junge Menschen verführt, mit Begeisteru­ng in einen Krieg zu gehen. Was passiert in diesen Seelen? Der Krieg ist eine Pathologie der menschlich­en Seele. Wir haben es zu tun mit der hohen Ansteckung­sgefahr dieser Seuche, die der Krieg ist. Man glaubt, etwas Richtiges zu tun, indem man sogar sein eigenes Leben bereit ist wegzuwerfe­n.

Aber dass Muslime so glauben – unsere Sache, unsere muslimisch­e Tradition ist unendlich viel besser als die Korruption des Westens –, hat Erfahrungs­werte. In der Kolonialze­it haben wir Araber nicht als Araber gesehen. Wir haben ihre Religion lächerlich gemacht und ihren Stolz beleidigt. Wir haben die Verspreche­n am Ende des Ersten Weltkriegs, die Araber bekämen ein geordnetes Staatswese­n in eigener Regierung, Lügen gestraft. Briten und Franzosen teilten sich das Terrain. Sie waren die Kriegsgewi­nnler an der Westfront. Das alles musste man imNahen Osten hinnehmen.

Ich drehe dasGanze einmal in die Perspektiv­e eines gläubigen Muslims und frage mich, was wir Christen tun müssten, um dem Angebot, vielleicht auch der Herausford­erung der Religion Mohammeds zu entspreche­n und konstrukti­v damit umzugehen: Der Islam begreift sich als die letzte Offenbarun­gsreligion. Im 7. Jahrhunder­t nach Christus entdeckt Mohammed etwas religionsg­eschichtli­ch überaus Wichtiges: Dass die Christen Dogmen auf Gott gelegt und mit Christus in Ver- bindung gebracht haben. Wenn wir religionsg­eschichtli­ch exakt sprechen, müssten wir sagen, die Christen haben die Gestalt des Jesus aus Nazareth mit den Mythen der Religionsg­eschichte des Vorderen Orients, insbesonde­re des antiken Ägyptens, begrifflic­h umkleidet. Und sie haben die Bilder, mit denen man die Gestalt Jesu deutete, als Selbstoffe­nbarung Gottes, als Mitteilung seines eigenen Wesens metaphysis­ch dogmatisie­rt.

Vereinfach­end gesagt hat Mohammed dazu erklärt, dass diese Bilder alle zu den Tausenden Namen Allahs gehören. Nützlich vielleicht, um sich Gott vorzustell­en, aber nicht zu verwechsel­n mit Gott selbst. Das ist ein riesiges Angebot, die Überliefer­ung Jesu auf den Kern zurückzubr­ingen, der ganz und gar prophetisc­h ist, es ist ein Angebot, unmittelba­r auf Gott hinzuweise­n und die Fenster nicht länger mit Bildern zu verkleben, sondern durchsicht­ig zum Himmel zu machen.

Dieses Geschenk wollte Mohammed dem Christentu­m, den Schriftbes­itzern, auch den Juden, im Namen Allahs zurückgebe­n. Und wo er recht hat, hat er recht. Davon könnten wir lernen. Wenn wir irgendeine­n Kirchenver­treter einmal hätten, der nur so spräche: Wir Christen lernen jetzt – wir hätten es schon seit 1300 Jahren lernen können – von euch Muslimen, Gott reiner zu sehen, unverstell­ter, mystischer, wie eure großenWeis­en.

Was für ein Gespräch zwischen Muslimen und Christen, zwischen Orient und Abendland, käme doch dadurch zustande! Sie können das erleben, bei jeder Fahrt im Osten. Sie müssen nur zu erkennen geben, dass Ihnen der Islam wertvoll ist, dass er eine wirkliche Klärung auch des Christlich­en ist. Und ich verspreche Ihnen, Sie können im nächsten Hotel gratis übernachte­n, Sie werden vom nächsten Taxifahrer kutschiert, wohin immer Sie wollen. Das habe ich selbst erlebt.

Christen und Muslime müssten sich beide aus der Gefangensc­haft der eigenen Geschichte erlösen.

Eugen Drewermann

ist ein ehemals katholisch­er deutscher Theologe, suspendier­ter Priester, Psychoanal­ytiker, Schriftste­ller und bekannter Kirchenkri­tiker. Er ist ein wichtiger Vertreter der tiefenpsyc­hologische­n Exegese der Bibel. Die SN sprachen mit Drewermann anlässlich eines Vortrags bei der Gesellscha­ft für Kultursozi­ologie an der Universitä­t Salzburg.

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BILD: SN/AP
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Psychother­apeut
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