Lkw zapft Strom aus Oberleitung
Ein Lkw mit einem ausklappbaren Stromabnehmer: Während Oberleitungsbusse, die auf diese Weise betrieben werden, aus vielen Städten wie in Salzburg nicht mehr wegzudenken sind, wirkt der Anblick entsprechender Transportfahrzeuge zunächst recht befremdlich.
Betrachten Sie doch einmal für wenige Augenblicke das Foto rechts: Handelt es sich dabeiumden Aprilscherz eines Photoshop-affinen Grafikers, der uns mit einer gekonnten Bildmontage täuschen will? Oder ist der seltsame Anblick dieses mobilen Zwitters tatsächlich Realität und vielleicht schon bald Teil der mobilen Zukunft?
Bevor wir die Lösung verraten, vorweg einige Fakten: Ja, der Verkehr, insbesondere der Güterverkehr gilt (nicht nur) in Europa als einer der größten Klimakiller. Das Transitland Österreich ist hier besonders betroffen. Alle Versuche, maßgebliche Marktanteile am Alpentransit auf die Schiene zu verlagern, sind – auswelchen Gründen auch immer – bislang kläglich gescheitert. Wobei gesagt werden muss, dass die modernen Lkw heute einen Bruchteil an Schadstoffen ausstoßen.
Zukunftsvision „eHighway“
Also gilt es schleunigst an neuen machbaren Formen der umweltschonenden Mobilität der Lastkraftwagen zu arbeiten. Und da die verfügbaren Batterien immer noch viel zu schwachbrüstig sind für vernünftige Reichweiten und die vielversprechende Wasserstofftechnologie noch in den Kinderschuhen steckt, müssen andere, durchaus unkonventionelle Pfade beschritten werden. Wobei wir bei der Auflösung des oben geschilderten Rätsels sind: Das Foto ist echt, ebenso das vom deutschen Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit geförderte Forschungsprojekt namens ENUBA.
Beteiligt sind zwei Big Player der deutschen Industrie: Siemens und Scania, die wissenschaftliche Begleitforschung führt unter anderem die TU Dresden durch. Ziel sei es, den „eHighway“als praxistaugliches Gesamtsystemzu entwickeln und alle damit zusammenhängenden Fragen zu klären, so die Projektpartner. Dies geschehe ganz im Sinne der aktuellenMobilitäts- und Kraftstoffstrategie.
Im Unterschied zu Straßenbahnen, O-Bussen und Zügen, deren Route von Trassenführung und Oberleitung definiert wird, wollen die Projektverantwortlichen eine möglichst große Flexibilität sicherstellen. Die E-Trucks sind daher als Hybrid-Fahrzeuge konzipiert. Sie können während der Fahrt von der Oberleitung an- und abkoppeln – egal, ob zu überholen oder um auf Straßen zu fahren, die (noch) nicht elektrifiziert sind.
In der aktuellen zweiten Phase vonENUBA wurden zwei serienmäßige 18-Tonner von Mercedes-Benz mit dieselelektrischem Hybridantrieb ausgestattet. Hängt der Lkw nicht an der Oberleitung, wird der Elektromotor mittels Dieselmotor und Generatormit Strom versorgt. Das nahtlose An- und Abkoppeln erfolgt bis 90 km/h automatisch, denn das System erkennt über Sensoren, ob eine Oberleitung vorhanden ist oder das Fahrzeug die Spur verlassenmuss.
Hoher Wirkungsgrad
Im Gegensatz zu Benzinmotoren stellen Elektromotoren ihr maximales Drehmoment aus dem Stand zur Verfügung, was gerade beim Anfahren mit schwerer Ladung eine Rolle spielt. Der Wirkungsgrad von Elektromotoren liegt zudem bei etwa 80 Prozent, während Verbrennungskraftmaschinen nur rund 40 Prozent der aufgewendeten Energie in Bewegung umsetzen. Um Energie zu sparen, greifen die ENUBA-Verantwortlichen auf einen Trick zurück, der sich bei Zügen und Straßenbahnen längst bewährt hat: Beim Bremsen wird die dabei gewonnene Energie ins Stromnetz zurückgeführt.
In den vergangenen Monaten wurde in Groß Dölln (D) eine erweiterte Teststrecke in Betrieb genommen, die den Bedingungen eines realen Betriebs angepasst ist. Die Strecke erhielt einemit bis zu 90 km/h durchfahrbare Kurve mit einer neu entwickelten, dem Kurvenverlauf angepassten Fahrleitung.
Ebenfalls installiert wurden eine Schilderbrücke und ein Kragarm mit Verkehrsschild, wie sie auf Fernverkehrsstraßen üblich sind. Weil die Oberleitung imsicheren Abstand unter den Verkehrsschildern durchgeführt werden muss, wurden Kettenwerk und Tragseil so abgesenkt, dass der Stromabnehmer auch bei voller Fahrt durchgängig Kontakt halten kann. Im Juli 2015 soll der Testbetrieb der Oberleitungsstrecke beginnen und für ein Jahr laufen, um ausreichend Praxisdaten zu sammeln.
Pläne für Elektrifizierung in Kalifornien
Überzeugt das Konzept, soll eine der stärksten Lkw-Pendlerstrecken Kaliforniens (USA) durchgehend elektrifiziert werden: die 30 Kilometer lange Verbindung der Häfen von Los Angeles und Long Beach.