Das Chaos nach der Invasion
Bosnien, Afghanistan, Irak: „Der Westen“zog in den Krieg. Siegte. Und wollte Demokratie und Wohlstand schaffen. Doch warum blieben oft nur gescheiterte Staaten zurück?
Die Idee, die allem zugrunde liegt, klingt abstrakt: „humanitäre Intervention“. Damit ist gemeint, dass Staaten militärisch in anderen Staaten eingreifen – mit dem (offiziellen) Ziel, dort menschliches Leid zu beenden. Die Kriege von US-geführten Koalitionen in Afghanistan 2001 und in Bosnien 1995 waren solche Interventionen. Bis zu einem gewissen Grad waren es auch die Besetzung des Iraks 2003 und die Luftschläge gegen das libysche Regime im Jahr 2011.
Noch heute sind diese Staaten in den Schlagzeilen. Und fast immer gibt es schlechte Nachrichten. Weil dort Anarchie herrscht statt der versprochenen Demokratie, Miss- statt Marktwirtschaft und Gewalt statt Gewaltenteilung. Kurz: „Der Westen“hat es nicht geschafft, seine Versprechen einzulösen, mit denen er den Einsatz von Gewalt gerechtfertigt hat.
Müsste die Konsequenz nicht heißen: kein militärisches Eingreifen in Diktaturen, Bürgerkriegsländern und Krisenstaaten mehr?
Nein – findet Thorsten Gromes von der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung. „Denn es stimmt nicht, dass alle militärischen Versuche scheitern, die Gewalt in einem Land zu beenden.“
Gromes plädiert dafür, vor allem die Erwartungen gering zu halten. „Wenn es wie in Bosnien oder im Kosovo gelingt, dass man nicht mehr aufeinander schießt, dann ist das im internationalen Maßstab schon ein Erfolg.“
Gromes ist der Frage nachgegangen, ob es ein Erfolgsrezept für die „Zeit nach der Invasion“gibt. „Die Frage ist ja wirklich: Was passiert, wenn es ausgefochten ist? Wie gehen wir mit dieser Gesellschaft um? Denn da fangen die wahren Probleme erst an“, sagt Gromes.
Denn: In kaum einem aktuellen Krisenherd seien die Voraussetzungen vergleichbar mit Deutschland, Österreich oder Japan nach dem Zweiten Weltkrieg. „1945 war zwar vieles zerstört“, sagt der Wissenschafter. „Aber es gab eine durch und durch gut ausgebildete Bevölkerung. Eine Tradition des Vertrauens in den eigenen Staat und lange Erfahrungen mit Demokratie. Die Staatsgrenzen waren weitgehend unbestritten – trotz etwa der deutschen Teilung. Es gab nicht eine diskriminierte Bevölkerungsgruppe innerhalb des Staates. Und vor allem ein Bekenntnis fast aller Bürger zum Staatsganzen.“
All das sei – beispielsweise – im Irak genau umgekehrt, sagt Gromes: Sunniten, Schiiten und Kurden lebten verarmt in einem zerstörten Gebiet, getrennt durch eine Geschichte von Gewalt und Unterdrückung. „Dort hinzugehen und zu glauben, in zwei Jahren ist das eine Demokratie westlicher Prägung: Das ist naiv.“
Und natürlich: Wer Soldaten in ein fremdes Land schicke, der brauche einen langen Atem. „Ein USPräsident könnte aber der eigenen Bevölkerung und jener des Iraks nicht von Anfang an sagen: Passt auf, wir müssen hier jetzt 30 Jahre lang bleiben.“Insofern sei politisches Taktieren unvermeidlich.
So sieht es auch Brigadier Walter Feichtinger, der für die Wiener Landesverteidigungsakademie forscht. „Nach innerstaatlichen Kriegen entsteht enorme Entfremdung. Dann einen gemeinsamen Staat zu bauen, das ist eine Herkulesaufgabe. Wenn die Leute nicht wollen – dann ist alles vergebliche Liebesmüh.“
Die verfeindeten Gruppen zu trennen, einfach eine Mauer dazwischen zu bauen – das sei natürlich unschön, aber eine von zwei möglichen Lösungen. „Alles andere ist enorm aufwendig, voller Rückschläge, und dauert Jahrzehnte“, sagt Feichtinger. Und auch er sagt: „Eine Demokratie nach unserem Vorbild ist in solchen Ländern völlig unrealistisch.“Vielmehr müsse man akzeptieren, dass etwa im Irak oder in Afghanistan politische Parteien bedeutungslos seien und wohl auf Jahrzehnte blieben. „Stattdessen haben dort Clans das Sagen. Wenn man diese in einem Parlament zusammenbringt, dann ist schon viel erreicht.“
„Eine Demokratie nach unserem Vorbild ist dort oft unrealistisch.“