Wohin die erste Kugel rollte
Der Däne Simon Steen-Andersen bastelt mit Klängen. Damit bespielt er unterschiedliche Räume. Was herauskommt, ist Neue Musik. Oder doch alte?
Vielleicht darf man sich Simon Steen-Andersen ja doch als großes Kind vorstellen. Der dänische Komponist und Performer, Jahrgang 1976, bastelt mit Tönen und Klängen. Er schafft in kleinerem und größerem Umfang Gebilde, die sich anhören, als würde er – kein Wunder: als Däne – mit LegoSteinen hantieren. KlangklötzchenMusik vielleicht?
Und wie er so dasteht an den zwei Joysticks, wie an Steuerknüppeln eines rhythmisierten Rennwagens, ein Niki Lauda der Neuen Musik, um eine Doppelbildprojektion durch eine Viertelstunde Geräuschkulisse zu steuern, hat das zugleich etwas Spielerisches und raffiniert Konstruiertes.
Zwei Wochen lang hat Simon Steen-Andersen das Gebäude des Museums der Moderne auf dem Salzburger Mönchsberg mit Mikrofon und Kamera erkundet. Er ist in die „Eingeweide“ebenso vorgedrungen wie in die Ausstellungsräume und hat dabei ein Bild-KlangRaumprofil erstellt, dessen Drive eine sonderliche musikalische Landschaft ergibt.
Wenn Türen der Schließfächer auf- und zuklappen, die Sperranlage tutet, ein Klebeband über die Räume gespannt und wieder abgelöst wird, ein Kübel das Stiegenhaus oder ein kleiner Ball über eine Kugelbahn kollert: Alles ist Musik. Mit den Joysticks kann der Komponist das Gefilmte beschleunigen oder verlangsamen, vorwärts oder rückwärts laufen lassen (sodass der Kübel auch treppauf hüpft) und die beiden Bildhälften wie zwei Notensysteme kontrapunktisch miteinander verknüpfen. So entsteht – gelenkt wie spontan – eine lustige Raumpartitur. Dass sie am Sonntag nicht in einem der Säle groß abgespielt werden durfte, sondern nur im Betonbunker des Museumsfoyers: geschenkt!
Etliche solcher Spielarten hat Simon Steen-Andersen am ersten Wochenende der Salzburg Biennale dem willig folgenden Publikum vorgestellt und seinen Interpreten abverlangt. Die Black Box Music beispielsweise: Drei im Raum verteilte Ensemblegruppen des vorzüglich vorbereiteten Österreichischen Ensembles für Neue Musik (oenm) reagieren auf einen „dirigierenden“Solo-Percussionisten, der seine Hände in eine Blackbox steckt und mit weißen Handschuhen den Stückverlauf nach Art des Schwarzen Theaters markiert. Zeichen- wird gewissermaßen zu Klangsprache.
Der Bastler im Komponisten kommt zum Vorschein, wenn der Solist allerlei Gerätschaften wie Gummibänder, Plastikbecher, kleine Propeller oder diverse Stimmgabeln in der Box justiert und bis zum finalen „Chaos“aktionistisch betätigt. Die gute alte Fluxus- und Happeningbewegung feiert da en miniature fröhliche Urständ.
Steen-Andersen zerlegt auch ohne Scheu klassische Stücke, eine dunkel immer tiefer niedersinkende Arie aus einer Kantate von Bach, „Der Hölle Rache“aus Mozarts „Zauberflöte“, gesungen von einem Mann wie auf einer schummrigen Discobühne, oder Ravels berühmtberüchtigten „Scarbo“(einen Nachtmahr). Mit sieben Musikern des Ensembles ascolta entsteht daraus eine „Inszenierte Nacht“: eine Art konzertantes Musiktheater. Oder er lässt einen Cellisten (diesfalls Peter Sigl) sein Instrument in allen Positionen mit einem präparierten Bogen wie ein Schlagwerkzeug traktieren und dabei phasenverschoben mit einem Video-Schattenbild konkurrieren.
Dass dieses instruktiv über sechs
„Ich war schon immer sehr am Live-Erlebnis interessiert.“
Konzerte verteilte Porträt eines Avantgardisten als Spieler mit verschiedenen Klangmaterien historische Wurzeln im Schaffen des Amerikaners Harry Partch (1901–1974) haben könnte, dazu öffnete der Auftaktabend der Salzburg Biennale den Vorhang. Partch unterteilte die Oktave in 43 „Zwischentöne“und konstruierte dafür ein eigenes, fantastisches Instrumentarium. Die Kölner Musikfabrik hat diese Klangmaschinen nachbauen lassen und führt nun Partchs Duos und Trios aus den 1960er-Jahren mit vorbildlicher Virtuosität und lässigem Drive auf. Dass Simon Steen-Andersen die instrumentale Anregung für ein eigenes Auftragswerk als Herausforderung genommen und ein suggestiv mit vornehmlich tiefsten Vibrationen spielendes Stück neu gebastelt hat, war die aktuelle Einstimmung auf einen „zoom“, der drei Tage lang die Salzburg Biennale sinnlich und sensitiv mit Schauen und Hören versorgt hat. Am nächsten Wochenende, wenn Isabel Mundry als Komponistin in Residence kommt, wird es gewiss ganz anders zugehen. Die Neue Musik: Sie hat eben viele Stimmen.