„Herausfischen, was an Gold im Leben steckt“
Sinn wird nicht gemacht. Sinn ist etwas, das gefunden werden muss. Was uns Viktor E. Frankl dazu heute sagen kann. Uwe Böschemeyer im SN-Saal: „Was gibt uns Hoffnung?“
Ende März jährt sich der 110. Geburtstag von Viktor E. Frankl. Ein SN-Gespräch über den Therapeuten der Hoffnung mit seinem Schüler Uwe Böschemeyer, der am 24. März im SN-Saal einen Vortrag hält. SN: Frankl gilt als der Therapeut der Hoffnung. Wie finden wir heute Hoffnung und Sinn? Böschemeyer: Es gibt immer die Möglichkeit von Sinnfindung, weil nicht nur der Mensch selbst, sondern auch seine Situationen einzigartig und einmalig sind. Sie sind für ihn von Stunde zu Stunde anders. Es gibt daher immer etwas Neues, das vor ihm liegt. Etwas anschaulicher formuliert: Wir sind Teil einer langen Kette von Situationen, in denen jeweils der Sinn darauf wartet, gelebt zu werden.
Von diesem Verständnis des Lebens her konnte Frankl im KZ den Satz sagen: „Und was auch unsere Zukunft sei, wir wollen trotzdem ja zum Leben sagen. Denn einmal kommt der Tag, da sind wir frei!“ SN: Frankl sagt, der Mensch glaubt an den Sinn. Ist der Sinn unverwüstlich in uns? Es gibt weder eine beweisbare Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Weltganzen noch auf die Frage, wozu wir überhaupt leben. Woher können wir aber unsere Hoffnung nehmen? Wir brauchen doch eine Antwort auf die Frage, ob trotz dieser Aporie Sinn im Leben vorhanden sei. Woher also können wir Gewissheit bekommen?
Die erste Antwort lautet, vom Sinn selbst. Denn wir könnten nicht an Sinnmangel leiden, wenn wir kein Bedürfnis nach Sinn hätten. Die zweite Antwort ist: Zwar lässt sich Sinn denkerisch nicht beweisen, wohl aber können wir ihn erfahren, wenn wir ein Wagnis eingehen. Alle großen Dinge des Lebens – Sinn, Liebe, Freiheit – setzen Vertrauen voraus. Sie verlangen, dass wir uns auf sie einlassen.
Das bedeutet: Sinn wird nicht gemacht. Sinn wird gefunden. Es geht darum, dass wir aus der jeweiligen Situation herausfinden – ich hätte beinahe gesagt herausfischen –, was als Gold darinnen steckt. SN: Wenn der Sinn vorhanden ist, warum fühlen sich so viele Menschen Sinn-los? Weil sie sich offensichtlich zu wenig vergegenwärtigen, dass Verantwortung die Grundlage jedweder menschlichen Existenz ist. Verantwortung im Sinne Frankls verstanden als ein Antworten auf das Leben, das auf mich zukommt. Und zu meiner Verantwortung gehört, dass ich für die Zeit, in der ich mich befinde, offen bleibe und mich frage: Was soll ich tun mit dieser Situation, die mir begegnet? SN: Diese Betonung der Verantwortung ist sehr konträr zu der jahrelangen Rede davon, dass die Gene, die Erziehung, die Umwelt uns bestimmen. Hier liegt ein grundlegendes anthropologisches Missverständnis vor. Ich habe bestimmte Gene, aber die Gene müssen mich nicht bestimmen. Ich habe Triebe – Macht, Geld, Karriere, Sex etc. –, aber sie müssen mich nicht bestimmen. Ich habe eine bestimmte Vergangenheit, aber sie muss mich nicht bestimmen.
Menschsein bedeutet, zugleich ein Individuum und ein soziales Wesen zu sein. Es bedeutet, sowohl sich selbst als auch andere und seine Mitwelt ernst zu nehmen. Im Sinne Frankls könnte man (fast) sagen, es geht nicht um mich, sondern um die Aufgaben im Leben, die auf mich warten.
Frankls Kernbegriff ist Selbsttranszendenz: Ich überschreite mich selbst und schaue darauf, was ich tun kann, auf eine Aufgabe hin oder auf einen anderen Menschen hin. Er sagt, die Menschen haben genug, wovon sie leben können, aber sie haben nicht genug, wofür sie leben können. Seiner Ansicht nach gibt es nichts Wichtigeres im Leben, als eine Aufgabe zu haben. Wir leben davon, dass wir eine Aufgabe haben und dass wir Menschen haben, denen wir zugetan sind. SN: Wird dieser Aufgabencharakter des Lebens nicht zur ständigen Last? Ich habe auch die Freiheit, mich zu verweigern. Dann aber komme ich nicht zur Erfüllung meines Lebens. Frankl: „Wenn ich zu meinem Schicksal (zu allem, was kommt) Stellung beziehe, kann es dazu kommen, dass ich das Tiefste aus mir heraus bringe. Und das ist wahre Selbstverwirklichung: Sinn zu finden sogar im hoffnungslosen, aussichtslosen Leiden.“Das ist keine willkommene Rede für unsere Zeit, aber eine notwendige. SN: Ein Grundbegriff bei Frankl ist die existenzielle Frustration. Was meint er damit? Ich bin leer, ich habe keine Orientierung, ich weiß nicht, auf welche Werte ich mich ausrichten soll. Ich bin müde vom Leben, ich finde zu wenig, das ich bejahen kann, und kann mich deshalb auch selbst nicht bejahen. Das öffnet die Tür für Süchte, für neurotische Ängste, für Depressionen. Die Zuspitzung dieser existenziellen Frustration ist Burn-out: Die Seele sagt, so will ich nicht mehr, so kann ich nicht mehr.
„Es geht nicht um mich. Es geht um die Aufgaben, die auf mich warten.“
SN: Was würde Frankl heute einem Menschen antworten, der sagt, ich kann nicht mehr, ich bin ausgebrannt? Frankls Therapie hält sich nicht bei der Vergangenheit auf, sondern ist stark auf die Gegenwart zentriert. Er würde nicht sagen, erzählen Sie mir Ihr Leben. Er würde sagen: Was tun Sie, womit sind Sie beschäftigt? Haben Sie einen Menschen, für den Sie da sind, für den Sie da sein können? Wenn nicht, dann halten Sie Ausschau nach diesem Menschen.
Ich verstehe diese Ausrichtung von Frankl auf den anderen so: Menschen brauchen Zeugen und offene Begleiter für ihr Glück wie für ihr Unglück. Am 26. März 1905, vor 110 Jahren, wurde Viktor E. Frankl geboren. Am 27. April 1945, vor 70 Jahren, wurde der Begründer der Logotherapie von den Amerikanern aus Türkheim, einem Außenlager des KZ Dachau, befreit. Der Frankl-Schüler, Theologe und Psychotherapeut Uwe Böschemeyer hält dazu im SN-Saal einen Vortrag über den „Therapeuten der Hoffnung“. Dienstag, 24. März, 19.00 Uhr, SN-Saal, Uwe Böschemeyer: „Was gibt uns Hoffnung?“ Vortrags- und Gesprächsabend anlässlich des 110. Geburtstages und des 70. Jahrestages der Befreiung von Viktor E. Frankl. Sichern Sie sich ab sofort Ihre Zählkarten bei: SN-Verlagshaus, Portier, Karolingerstr. 40. Eintritt frei. Info-Tel. 0662-8373-511.