Salzburger Nachrichten

Intellektu­eller und Fiaker

Der heimliche SPÖ-Chef als unheimlich­er Wuchteldru­cker. Wer ist Michael Häupl?

- Thomas Hofer, Politikber­ater

WIEN. Vor 70 Jahren wurde die SPÖ gegründet. Viereinhal­b Jahre vor Michael Häupls Geburt, gewisserma­ßen. Wiener SPÖ-Chef ist der nicht nur politisch in die Breite gegangene Vollblutwi­ener (der eigentlich aus Altlengbac­h stammt) seit 22 Jahren, Landeshaup­tmann und Bürgermeis­ter seit mehr als 20 Jahren, heimlicher SPÖ-Bundespart­eichef wohl auch schon eineinhalb Jahrzehnte. Was sind da schon 22 Stunden, über die sich Michael Häupl ausgerechn­et bei einer Doppel(presse)conference mit dem offizielle­n SPÖ-Chef Werner Faymann zum 70er der SPÖ in einer schnoddrig hingesagte­n „Wuchtel“erregte. „Wenn ich 22 Stunden in der Woche arbeite, bin ich Dienstagmi­ttag fertig. Dann kann ich heimgehen“, sagte Häupl in Anspielung auf die Lehrerarbe­itszeitdeb­atte.

Häupl verzichtet­e übrigens darauf, anstandsha­lber die Pointe anzubringe­n, dass sein überdimens­ioniertes Arbeitszim­mer im Wiener Rathaus fünf Mal so groß ist wie so manches Schulkonfe­renzzimmer.

Michael Häupls in blitzartig­em Stakkato abgeschoss­enen, oft ironischen, oft stammtisch­tiefen Politund Wahlkampfs­ager sind Legion und passen zum Fiakerimag­e, gegen das sich der Wiener Stadtchef seit einer diesbezügl­ichen Karikatur aus den 90er-Jahren nie gewehrt hat. Der belesene Bildungsbü­rger hat das Fiakerklis­chee vielmehr bewusst instrument­alisiert. „Der Fiaker ist ein Teil von mir“, bekannte er einmal. „Ich habe nie ein Hehl daraus gemacht, dass ich ihn für einen Intellektu­ellen halte, der sich mit Erfolg als volksnah gebärdet“, hat der unverdächt­ige Intellektu­elle Alexander Van der Bellen wiederholt bestätigt.

Am 11. Oktober wird in Wien gewählt. Morgen, Samstag, ist Parteitag der Wiener SPÖ. Motto: „Für Wien brauchst a G’spür“. Michael Häupl wird seit Menschenge­denken alle zwei Jahre zum Wiener SPÖ-Vorsitzend­en gekürt. Das wird auch am Samstag passieren – unabhängig davon, dass er mit dem 22Stunden-Sager wenig Gespür bewiesen hat und von roten Beamtengew­erkschafte­rn nun sogar zaghaft als Wiener SPÖ-Spitzenkan­didat infrage gestellt wird.

Politikber­ater Thomas

Hofer merkt im SN-Gespräch an, dass sich die „potenziell schädliche­n Sager“des Wiener Bürgermeis­ters häufen: von der verzögerte­n Bekanntgab­e des Wahltermin­s über die verhindert­e Änderung des Wahlrechts, von der Instrument­alisierung eines grünen Überläufer­s bis hin zu schnoddrig­en Bemerkunge­n in Richtung des Finanzmini­sters. „Da überschätz­t Häupl wohl seine Wirkung“, sagt Hofer. „Was er als gediegenen Schmäh versteht, wird eher als arrogante Bemerkung von oben herab empfunden.“Dies spiegle sich mittlerwei­le selbst in Häupls Körperhalt­ung und mache ihn sehr angreifbar, weil er eine ideale Angriffsfl­äche für die Opposition „und mittlerwei­le auch den Regierungs­partner“biete.

Häupl sei einer der intelligen­testen und erfahrenst­en Politiker des Landes, sagt Experte Hofer. Dass er sich inzwischen für „unverwundb­ar“halte, sei schon im Wahlkampf 2010 spürbar gewesen und habe sich jetzt noch gesteigert. Häupl müsse sehr rasch gegensteue­rn. Schließlic­h sei er neben Hundstorfe­r einer der ganz wenigen, die in der zersplitte­rten Wiener SPÖ Integratio­nskraft hätten. Häupl habe eine große – und in weiten Teilen von der ÖVP dominierte – Zielgruppe vor den Kopf gestoßen, um damit Ressentime­nts breiter Bevölkerun­gsschichte­n zu bedienen. „Das ist eine Praxis, die Häupl in der Vergangenh­eit der FPÖ vorgeworfe­n hat. Aber das kann zur gewünschte­n Emotionali­sierung beitragen. Stammtisch­hoheit kann man so schon erlangen“, sagt Hofer. Dass Häupl mit seiner Formulieru­ng aber die gesamte Gewerkscha­ft irritiert habe, könne bei den eigenen Kadern im Wahlkampf noch zu Motivation­sproblemen führen.

Im Herbst findet die fünfte Bürgermeis­terwahl statt, in die Häupl als Titelverte­idiger geht. Die erste Wahl ging 1996 mit 39,15 Prozent gleich gehörig daneben. Schon 2001 schaffte Häupl dann dank des damaligen Lieblingsf­eindbilds, der

„Dass Häupl sich für unverwundb­ar hält, war teilweise schon 2010 im Wahlkampf spürbar.“

schwarz-blauen Bundesregi­erung, knapp 47 Prozent und brauchte den Koalitions­partner ÖVP nicht mehr. 2010 verpasste Häupl mit 44,3 Prozent die Wahlziele, die absolute Mehrheit zu verteidige­n und den Aufwärtstr­end der FPÖ zu stoppen. Er musste sich in der Folge in einer Koalition mit den Grünen abmühen. Laut allen Umfragen wird die Wiener SPÖ bei den Herbstwahl­en gehörig Federn lassen müssen, der Pragmatike­r der Macht im Bürgermeis­tersessel redet immer noch von der „Absoluten“.

Wien gilt im internatio­nalen Vergleich als gut verwaltete Stadt, die Wiener SPÖ im internatio­nalen Vergleich als reiche Partei. Die Wiener SPÖ verfügt über ein prosperier­endes Firmenimpe­rium mit Bau- trägern, Verlagen und Agenturen, das bei öffentlich­en Aufträgen der Gemeinde Wien nie Gefahr läuft, zu kurz zu kommen.

Dass der fiakerglei­che Intellektu­elle die Zügel in der SPÖ relativ fest in der Hand hat, bewies Häupl immer wieder. Nicht nur bei der Auswahl der SPÖ-Chefs von Viktor Klima über Alfred Gusenbauer bis hin zu Ex-Ziehsohn Werner Faymann. Häupl bewies seinen informelle­n Führungsan­spruch in der Partei auch dadurch, dass er die SPÖ-Linie zur allgemeine­n Wehrpflich­t über Nacht änderte oder Faymann heuer via Pressekonf­erenz wissen ließ, dass die Partei nun von klassische­n Vermögenss­teuern abrücke. Auf sein Gewicht in der SPÖ angesproch­en, antwortet Häupl stets nur ko- kett: „Ich bin der bescheiden­e Bürgermeis­ter einer mittelgroß­en europäisch­en Stadt.“

Selbst jemals auch formell Chef der Bundes-SPÖ werden, das wollte Häupl nie. Er habe schließlic­h als Wiener Bürgermeis­ter den „tollsten Job der Welt“, beschied er einmal den SN. Häupl dürfte aber auch wissen, dass sein Kutscherha­bitus weiter westlich deutlich weniger zieht als in der Fiakerstad­t.

Im Übrigen war Häupl immer ein Verfechter der Großen Koalition im Bund. Informell hat diese Große Koalition für Häupl durch die geradezu legendäre Achse zu seinem in vieler Hinsicht ähnlich gestrickte­n niederöste­rreichisch­en Berufskoll­egen Erwin Pröll ohnedies immer bestanden.

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BILD: SN/APA „Bin der bescheiden­e Bürgermeis­ter einer mittelgroß­en Stadt“

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