Von hoch droben kommen sie her
Das Arctic Philharmonic, das „nördlichste Orchester Europas“, auf seiner ersten Österreich-Tournee.
Jenseits des Polarkreises hat klassische Musik, wenn überhaupt, wohl eine andere Tradition als in unseren Breiten. Da stürmt im Laufschritt ein agiler Mittfünfziger in glänzendem schwarzen, nach der Pause weinrotem Hemd aufs Podium und hat die Ärmel lässig hochgekrempelt.
Vor ihm sitzt ein an vielen Pulten blutjunges Orchester, das erst seit 2009 existiert – unbelastet also auch von eigener Tradition: das Arctic Philharmonic, beheimatet in den nordnorwegischen Städten Bodø und Tromsø. Damit versorgt dieses Ensemble symphonisch und kammermusikalisch eine Region mit klassischer Musik, die distanzmäßig weit entfernt ist von den Hauptstädten Oslo und Bergen und damit ihren auch außerhalb der Landesgrenzen bekannten und bestens angeschriebenen Orchestern. Auch Oper steht von Fall zu Fall auf dem Arbeitsplan der Nordnorsker Musikerinnen und Musiker.
Christian Lindberg, der Mann mit dem Dirigentenstab in der linken Hand, ein veritables Springinkerl, birst vor Energie. Dass er in seiner instrumentalen Profession Posaunist ist, merkt man, wenn (und wie) er den Klang der Blechbläser hochregelt – wie ein Einser steht die Linie, strahlend, brillant, dicht, von den Hörnern bis zur Basstuba. Davor werden auch die Holzbläser gut modelliert, geraten aber die Streicher (noch) oft ins tonliche Hintertreffen. Da wird noch an Volumen und Klangsinn zu arbeiten sein.
Trotzdem: Die erste Visitenkarte, die das Arctic Philharmonic im ersten von drei Gastkonzerten im Großen Festspielhaus abgab, machte schon staunen. Mitgebracht hatte man, ehe es an den folgenden Terminen zu Tartini, Haydn und Tschaikowsky ging, die nordischen „Hausgötter“Sibelius und Grieg – durchaus ungewöhnliche Begegnungen für das hiesige Abonnementpublikum, das, abgesehen von bellenden Hustenattacken ohne Vorhaltung hygienefördernder Schneuztüchln, aufmerksam geistert reagierte.
Die Karelia-Suite und die Tondichtung „Finlandia“von Sibelius sowie die kaum je in unseren Breiten zu hörenden „Symphonischen Tänze“, op. 64, von Grieg waren maßgeschneiderte Markenartikel mit ambitioniertem Schnitt und passgenau elegantem Sitz.
Dass das durch seinen Sitz „nördlichste Orchester Europas“als Solisten einen Spitzentrompeter des venezolanischen „El Sistema“auf seine Reise nach Salzburg und – am Samstag – nach Wien mitnimmt, ist ein schönes Zeichen globaler Vernetzung. Dirigent Lindberg hatte in Venezuela einen Posaunenkurs gegeben ( wo er sich, wie er erzählte,
be- nicht ein paar Meisterschülern, sondern 140 Jungposaunisten gegenübersah) und war dort auf Pacho Flores aufmerksam geworden. Flores nahm zum Einstand – vor Haydn, Tartini und dem Konzert „Akbank Bunka“von Lindberg – den einsätzigen Parforceritt des armenischen Komponisten Alexander Arutjunjan in Angriff: gleißende Virtuosität versus herbsüß schmeichelnde Melodik. Das konnte nichts anderes als Entzücken (und eine schier atemlos machende Zugabe) hervorrufen.
Konzert: