Der verlorene Klon
Dafür, dass HC Strache mit zehn Jahren längstdienender Parteichef des Landes ist, hat er politisch keine großen Spuren hinterlassen.
WIEN. „Wer weiß, vielleicht gelingt der erste Platz. Wer weiß es?“Das sagte FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache letzten Sonntag im ORF im Hinblick auf die Wiener Bürgermeisterwahl. Dann könnte Strache tatsächlich endlich einmal machtpolitisch anschreiben. Doch der erste Platz ist nicht in Reichweite – so viele selbstschädigende Flapsigkeiten kann selbst der drollige Bürgermeister Michael Häupl bis zur Wahl nicht mehr von sich geben.
Der erste Platz in der FPÖ war für Strache vor einem Jahrzehnt dagegen relativ leicht zu erreichen. FPÖParteitag in Salzburg, 23. April 2005. Richtung Podium musste der eben neu gewählte fast 36-jährige Parteichef der FPÖ, HC Strache, gar nicht selbst stapfen. Zum nicht gerade deutschtümelnden BonnieTyler-Song „I Need a Hero“wurde er auf den Schultern auf die Bühne im Messezentrum getragen. Ganz so wie knapp 20 Jahre zuvor der 36jährige Jörg Haider beim Innsbrucker Parteitag 1986. Haider war zum Zeitpunkt des Salzburger Parteitags wieder mal „schon weg“. Er hatte sich wenige Tage vor dem Parteitag mit der Neugründung des BZÖ von seiner FPÖ und dem, was davon noch da war (nicht zuletzt ein Millionen-Schuldenberg), abgesetzt.
Strache betont (selbst)zufrieden: Er habe die FPÖ als Scherbenhaufen übernommen und gezeigt, „dass ich fähig bin, die Partei nicht nur zu retten, sondern auch zu sanieren und wieder erfolgreich aufzustellen“. Aber kann er wirklich zufrieden sein mit zehn Jahren StracheFPÖ? Wohin hat er die FPÖ, die er fraglos konsolidiert hat, geführt? Und welche großen politischen Spuren hat er hinterlassen?
Als polternder Oppositionspolitiker hat er oft genug Gelegenheit gefunden, die Republik oder einzelne Länder als Scherbenhaufen darzustellen. Allein, Strache und seine FPÖ sind in den zehn Jahren trotz aller Stimmenzugewinne bei Wahlen nie auch nur in die Nähe einer echten Regierungsbeteiligung gekommen. Abgesehen von manch machtlosem FPÖ-Landesrat in Konzentrationsregierungen und dem ausgestandenen freiheitlichen Sonderfall Kärnten, von dem nur die Hypo-Folgekosten blieben, wollte auch in den Ländern niemand die FPÖ in die Regierung nehmen.
Heuer stehen der Strache-FPÖ Stimmengewinne bei den Landtagswahlen ins Haus: in der Steiermark, im Burgenland, aber auch in Oberösterreich und selbst in der Bundeshauptstadt, wo Strache bei seinem Zwischenwahlkampf 2010 25,8 Prozent erreicht hat.
Nicht nur der Politologe Peter Filzmaier sieht Strache als „Wahlsieger ohne machtpolitische Perspektive“. Vielleicht ist Strache – trotz aller periodisch hinaustrompeteten Machtansprüche – ja auch ganz zufrieden damit. Im Vorjahr hatte er im Hinblick auf sein anstehendes Zehn-Jahr-Jubiläum als FPÖ-Chef gemeint, er wolle weitere zehn Jahre an der FPÖ-Spitze stehen. Kann man daraus schließen, dass Strache vielleicht gar keine Regierungsbeteiligung will? Für reine Protestparteien wird es, müssen sie gestalten und Regierungsverantwortung übernehmen, nämlich oftmals sehr schwierig. Strache weiß das am besten: Er war beim Putsch von Knittelfeld 2002 gegen das damalige FPÖ-Regierungsteam an vorderster Front dabei.
Als Regierungspolitiker hat sich Strache mangels Möglichkeit noch nicht beweisen können. Anders als Jörg Haider hat er aber auch als Oppositionspolitiker kaum ausgeprägte Spuren hinterlassen. Er hat – anders als Haider – aus der Opposition keine großen politischen Gegenkonzepte aufgezeigt oder Wirtschaftsbosse vom Kaliber der Hai- der-Förderer Thomas Prinzhorn oder Herbert Turnauer auf seine Seite gezogen. Aus dem anfangs oft als weniger begabten Haider-Klon verspotteten Wiener ist im Hinblick darauf, was er in seinen ersten zehn Jahren – abgesehen von der Hege der 2005 abgewirtschaftet gewesenen Partei – tatsächlich bewegt hat, fast ein verlorener Klon geworden.
Es entsteht auch der Eindruck, dass weder SPÖ noch ÖVP sich vor dem blauen Parteichef tatsächlich fürchten. Auch dies war im Fall Jörg Haiders ganz anders. Der Weg an die Macht scheint auf Bundesebene weiter verbaut. Bei den Nationalratswahlen 2018 können die schon aufgrund der immer jünger werden- den Wählerschaft zu Stimmverlusten verdammten Koalitionsparteien, SPÖ und ÖVP, eine Mehrheit wohl immer noch durch Aufnahme der Grünen und der Neos in die Regierung retten. Die Sozialdemokraten haben einen Parteitagsbeschluss, in keine Koalition mit der FPÖ zu gehen. In der ÖVP sind es weiter nur ganz wenige, die sich auf eine Koalition mit der Strache-FPÖ einlassen wollen, offiziell nicht zuletzt wegen der blauen Fremden-, Asyl- und EU-Politik.
Bei diesen Themen hat Strache zwar, was die Härte der Ansagen angeht, zum Teil Kreide gefressen. Aus „Daham statt Islam“wurde etwa „Für uns Österreicher“. Aber die plakatierte „Nächstenliebe“gilt stets nur für Inländer, von der grundsätzlichen Hetze gegen Massenzuwanderung und Islam(ismus) ist die Strache-Partei nicht abgerückt. Erst im März lud Strache den extrem umstrittenen Rechtspolitiker Geert Wilders nach Wien. Bei dem Event ragten Minarette auf Plakaten bedrohlich wie Raketen aus dem Heimatboden. Seine Versuche, die FPÖ auf dem Weg zur Mittelpartei vom Geruch der Rechtslastigkeit zu befreien und den Einfluss der Burschenschafter zurückzudrängen, konterkariert Strache immer wieder selbst. Immerhin gelang es ihm, den umstrittenen Martin Graf abzuservieren. Aber schon Jörg Haider hat spüren müssen, dass die von den intellektuellen Kapazitäten her nicht zu breit aufgestellte Partei ohne die korporierten Kader nicht ganz auskommt. Während Strache zuletzt von in der Partei vorhandenen Pools von 500 Experten sprach, verweist etwa der Politikberater Thomas Hofer darauf, dass die zweite Reihe in der Partei fehle oder im Wesentlichen nur aus Generalsekretär Herbert Kickl bestehe.
Der in die Jahre gekommene FPÖChef (46) wird sich im Wiener Wahlkampf weiter auf Disco-Touren an die wahlberechtigte Jugend heranmachen und gut ankommen.
Im Privaten gilt Strache, jenseits aller dienstbedingten Untergriffigkeiten – das bestätigen auch politische Gegner –, als „angenehmer Mensch“. Freilich mit einem extremen Bedürfnis, akzeptiert und anerkannt zu werden. Auch offiziell: Heinz Fischer ziert sich seit 2012, Strache – für Klubobleute üblich – das „Große Goldene Ehrenzeichen mit dem Stern“zu überreichen. Wie das „Profil“berichtet, ist der FPÖChef soeben bei Fischer mit einer Mappe samt rot-weiß-roter Schleife angetreten, die alle Reden enthielt, in denen sich Strache vom Nationalsozialismus distanziert.