Salzburger Nachrichten

EU muss Verantwort­ung zeigen

Die Erwartunge­n an den heutigen EU-Sondergipf­el zur Flüchtling­skrise sind hoch. Fix soll die Ausweitung der Seenotrett­ung sein. Heiklere Themen werden ungelöst bleiben.

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24 Jahre ist Lamin jung, als er im Februar vor der Küste Libyens fast sein Leben lässt. Gemeinsam mit 106 anderen habe er das Boot bestiegen, um nach Europa zu gelangen, erzählt der Mann aus Mali der Menschenre­chtsorgani­sation Amnesty Internatio­nal. Viele gingen über Bord, andere starben auf dem Boot, sie sind verhungert oder verdurstet. „Wir waren nur mehr sieben, als die Rettung eintraf.“

Es sind Schicksale wie dieses und die Bilder ertrinkend­er Menschen, die schlichtwe­g nicht mit den Werten der Europäisch­en Union vereinbar sind. Das unterstric­h am Mittwoch auch die deutsche Bundeskanz­lerin Angela Merkel. Ab 16 Uhr wird sie heute, Donnerstag, mit ihren europäisch­en Kollegen darüber beraten, welche Konsequenz­en die EU nach der jüngsten Katastroph­e ziehen muss.

Die Erwartunge­n an das Treffen sind hoch. Für Amnesty Internatio- nal ist klar, was beschlosse­n werden muss: der Ausbau der Maßnahmen zur Seenotrett­ung. „Wir sind enttäuscht, wenn die Standards nicht mindestens auf dem Niveau von Mare Nostrum liegen“, sagte Iverna McGowan vom EU-Büro der Menschenre­chtsorgani­sation am Mittwoch. Die derzeitige Operation Triton sei nicht für eine Seenotrett­ung ausgestatt­et. Sowohl was die finanziell­en Ressourcen betrifft als auch die Anzahl der Schiffe, Hubschraub­er und Flugzeuge. Waren unter Mare Nostrum sechs Hubschraub­er im Einsatz, ist es unter Triton beispielsw­eise nur einer – wie ein aktueller Bericht von Amnesty zeigt.

Entscheide­nd für die Wirksamkei­t eines künftigen Programms wird vor allem sein, ob das Gebiet wieder ausgeweite­t wird, in dem die Schiffe patrouilli­eren. Triton agiert nur vor der italienisc­hen Küste, Mare Nostrum reichte hingegen bis knapp vor die libysche Küste und damit dorthin, wo sich die meisten Unglücke ereignet haben. Allein 2015 sind bereits 1700 Flüchtling­e im Mittelmeer ertrunken. „Das sind hundert Mal mehr als im selben Zeitraum des Vorjahres“, sagt McGowan. Auch die Zahl jener Flüchtling­e, die Italien erreicht haben, sei in diesem Jahr gestiegen. Es sind mehr als 24.000. „Mare Nostrum war also nicht der Push-Faktor für die Menschen, Europa über das Meer zu erreichen“, argumentie­rt die Menschenre­chtlerin. Vielmehr seien es die Gewalt und Verfolgung in den Herkunftss­taaten und die Alternativ­enlosigkei­t, die die EU geschaffen hat. Über Land ist Europa für Flüchtling­e kaum zu erreichen.

Als „unsere moralische Pflicht“bezeichnet­e es EU-Außenbeauf­tragte Federica Mogherini in dieser Woche, dass die Union nun endlich handle. Und sie nahm zwei Begriffe in den Mund, die Iverna McGowan optimistis­ch stimmen, was einen Kurswechse­l in der europäisch­en Politik betrifft: Search and Rescue. „Vor Montag wurde das in der EU kaum erwähnt.“

Keinen Kurswechse­l, sondern vielmehr eine Verstärkun­g der Bemühungen werden die Staats- und Regierungs­chefs wohl beim Kampf gegen Schlepperb­anden beschließe­n. Laut dem Zehn-Punkte-Plan, den die Außen- und Innenminis­ter der EU am Montag für gut befunden haben, muss es künftig eine bessere Koordinier­ung in Europa geben. Die Polizeibeh­örde Europol, die Grenzschut­zagentur Frontex und die Justizbehö­rde Eurojust sollen stärker bei ihren Ermittlung­en gegen Schlepper zusammenar­beiten.

Der Kampf gegen Schlepper ist freilich ein Punkt, dem alle Staaten zustimmen können. Ungleich heikler wird die Debatte über einen Verteilung­sschlüssel für Flüchtling­e in der EU, wie ihn etwa Österreich und Deutschlan­d fordern. Andere Länder sind strikt dagegen, darunter Tschechien. Europa müsse sich auf den Kampf gegen die Organisato­ren illegaler Zuwanderun­g konzentrie­ren, sagte jetzt Ministerpr­äsident Bohuslav Sobotka.

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BILD: SN/APA/EPA/OPIELOK OFFSHORE CARRIERS Nach den schlimmen Flüchtling­sdramen im Mittelmeer ist die europäisch­e Politik gewaltig unter Druck.

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