Nur Ventil für Massendruck
Europa sucht nach sicheren Migrationswegen über das Mittelmeer. Ein Plan ist, Flüchtlinge in Krisengebieten vor der Überfahrt in Asylzentren aufzufangen. Das klingt gut, ist aber kaum umsetzbar.
Eröffnet die EU bald Asylzentren in afrikanischen und arabischen Krisengebieten? Damit der Asylanspruch von jenen, die vor Kriegen und politischer Verfolgung fliehen, schon auf der anderen Seite des Mittelmeeres geprüft werden können? Und Asylberechtigte dann nicht mehr mit „Todesbooten“, sondern auf sicherem, ganz legalen Weg nach Europa kommen können?
Nicht erst seit den jüngsten Flüchtlingskatastrophen im Mittelmeer wird über diese Idee nachgedacht. Die Europäische Union streitet schon seit mehr als zehn Jahren über diesen Vorschlag – ohne je- doch in der Sache wesentlich weiter gekommen zu sein. Immerhin hört man nun aus der EU-Kommission in Brüssel, dass über ein Pilotprojekt nachgedacht wird, das möglicherweise im westafrikanischen Staat Niger starten könnte. In Niger befinden sich Zehntausende Flüchtlinge aus dem Nachbarland Nigeria, die vor den brutalen Gewaltexzessen islamistischer Milizen wie etwa der Terrorbande Boko Haram geflohen sind.
Der Grundgedanke: Man will zusammen mit dem UNO-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) ausloten, inwieweit Asylansprüche und andere humanitäre Aufnahmegründe bereits an Ort und Stelle geprüft werden könnten. Nach einer Art „Erst- prüfung“im Lager könnten dann jene Flüchtlinge, die Chancen auf Asyl haben, für ein konkretes Aufnahmeverfahren nach Europa gebracht werden. Allen anderen soll bei der Rückkehr in ihre Heimatländer oder der Umsiedlung in andere Staaten geholfen werden.
Damit möchte man die Botschaft verbreiten, dass der einzige sichere Migrationsweg nach Europa nur so möglich ist. Und nicht über Schlepperbanden, die derzeit vor allem vom nordafrikanischen Bürgerkriegsstaat Libyen aus operieren.
Das hört sich in der Theorie gut an, in der Praxis sind freilich in Sachen europäisches Asylrecht noch Hürden zu überwinden: Die potenziellen Berechtigten müssten nach einem gerechten Schlüssel auf alle EU-Staaten verteilt werden. Die EU müsste sich endlich über einheitliche Kriterien für die Asylerteilung und auch Abschiebung einigen. Aber eine europäische Überein- kunft in diesen Fragen liegt in weiter Ferne. Doch selbst wenn dieser Streit beigelegt werden sollte, wartet schon die nächste und für viele Europäer abschreckende Vision: Angesichts der Vielzahl der schwelenden Kriege und Krisen harren auf der anderen Seite des Mittelmeers inzwischen Hundert- tausende mögliche Berechtigte aus. Laut Schätzung des UNHCR hat etwa die Hälfte jener Menschen, die mit einem Boot in Europa ankommen, gute Asylgründe.
Jedes europäisches Aufnahmeprogramm würde zwangsläufig an seine Grenzen stoßen und wäre kaum mehr als ein kleines Ventil, das den Migrationsdruck übers Mittelmeer verringern, aber kaum stoppen könnte. Ganz abgesehen von einem derzeit unüberwindlichen Hindernis: Im umkämpften Libyen – jenem Transitland, von dem heute die meisten Flüchtlingsschiffe nach Europa ablegen, ist an eine humanitäre Mission mit europäischen Asylzentren nun überhaupt nicht zu denken.