Salzburger Nachrichten

Dem Schwindel in die Augen sehen

Mit Kinderport­räts wurde er populär. Selbst gemalt hat er aber keines: Christoph Waltz spielt einen berühmten Hochstaple­r.

- Tim Burton, Regisseur Big Eyes. Biopic, USA 2014. Regie: Tim Burton. Mit Amy Adams, Christoph Waltz. Start: 24. 4.

WIEN. Riesige Augen in ernsten Gesichtern, mit Stupsnäsch­en und schwellend­en Lippen: In den Sechzigerj­ahren waren die unverwechs­elbaren Kinderport­räts mit der Signatur „Walter Keane“vor allem in den USA allgegenwä­rtig. Sie wurden auf Postkarten gedruckt, auf Kalender, auf Poster. Keane verdiente nicht mit dem Verkauf der Leinwände, sondern mit der Produktion billiger Drucke. Er beschenkte Filmstars mit den Bildern, reklamiert­e sie in Kunstsamml­ungen hinein, und die Menschen kauften die Reprodukti­onen zu Hunderttau­senden, zum Entsetzen seriöser Kunstkriti­ker, die die kulleräugi­gen Kinderdars­tellungen als geschmackl­osen Kitsch bezeichnet­en. Zumindest Andy Warhol fand es toll: „Ich bin begeistert von dem, was Walter Keane da gemacht hat. Es muss gut sein. Wäre es schlecht, würden das nicht so viele Leute mö- gen.“Dieses Zitat hat Regisseur Tim Burton seinem Film „Big Eyes“über den erstaunlic­hen Erfolg von Walter Keane vorangeste­llt, der am Freitag ins Kino kommt. Die Geschichte ist mehrfach bemerkensw­ert: Keane war der Erste, der mit massenhaft­en Kunstrepro­duktionen wirklich reich wurde, gegen den erbitterte­n Widerstand der Kritiker. „Big Eyes“handelt also von populistis­cher Kunst. Vor allem war Keane aber ein Betrüger, der nur behauptete, Urheber dieser Bilder zu sein: In Wirklichke­it malte Keanes Frau Margaret die traurigen Kindergesi­chter, die sich so gut verkauften, der Film ist eine kühne Hochstaple­rgeschicht­e. Und er ist die Erzählung einer Emanzipati­on in einem Klima, das Frauen nur allmählich eigenen Schöpferwi­llen zugestand. Denn irgendwann wurde selbst der sanftmütig­en Margaret Keane die Geltungssu­cht ihres Mannes zu viel: Sie forderte die Scheidung, und entlarvte ihn vor Gericht als Betrüger.

Margaret Keane wird in „Big Eyes“von Amy Adams gespielt. Margaret lernt Walter Anfang der Sechzigerj­ahre kennen: Gerade hat sie ihren ersten Ehemann verlassen und ist mit ihrer kleinen Tochter nach San Francisco gezogen, um sich als Malerin zu etablieren. Walter Keane, gewohnt charmant-diabolisch dargestell­t von Christoph Waltz, erobert Margaret im Sturm: Er schwärmt ihr vom Leben in Paris vor, zeigt ihr angeblich eigene Malerei, und als es zum Sorgerecht­sstreit mit ihrem Ex-Mann kommt, macht er ihr einen Heiratsant­rag.

Die erste Zeit an der Seite des schillernd­en Entertaine­rs Walter ist aufregend. Doch als er für sie eine erste Ausstellun­g organisier­t, gibt er sich kurzerhand selbst als Maler der traurigen Kinder aus. Sie spielt mit, weil er bei Käufern so überzeugen­d ist. Der Erfolg gibt ihm recht.

Tim Burton, Erfinder melancholi­scher Wesen wie „Edward mit den Scherenhän­den“und skurriler Wel- ten wie „Nightmare Before Christmas“, ist seit Jahrzehnte­n Sammler von Margaret Keanes Malerei. Natürlich ist ihm bewusst, wie abstoßend viele Betrachter ihre Bilder empfinden: „Mich hat interessie­rt, wie sehr die Bilder polarisier­en: Ist das Kunst? Oder kompletter Kitsch?“Die Frage stellt auch „Big Eyes“, und die Antwort liegt ganz beim Betrachter.

Im Jahr 2000 starb Walter Keane, ohne seine Hochstapel­ei je eingestand­en zu haben. Die 87-jährige Margaret malt immer noch. Jahrelang hatten verschiede­ne Produzente­n sie umworben, um ihre erstaunlic­he Lebensgesc­hichte zu verfilmen. Dass es nun Burton ge- worden ist, liegt auch an dessen aufrichtig­em Interesse für ihre Malerei. Doch „Big Eyes“kann sich nicht recht entschließ­en, wo er hinwill: das Kunstszene-Dramolett inklusive Medienhype, das exemplaris­che Ehedrama einer Ära oder die schrittwei­se Demontage eines Wahnhaften? Für alle drei Erzählunge­n findet Burton nicht genug Platz in seinem Film.

In wenigen Momenten blitzt auch sein Faible fürs Surreale hervor, etwa wenn Margaret im Supermarkt ihre auf T-Shirts und Tassen gedruckten Kinderbild­er findet und alle Menschen im Geschäft plötzlich riesige Augen bekommen. „Big Eyes“versucht die Balance zwischen einer glaubwürdi­gen Biografie und einem Tim-Burton-Film und bekommt beides nicht richtig hin.

„Ist das Kunst? Oder völliger Kitsch? Das hat mich interessie­rt.“

Film:

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BILD: SN/SN/STUDIOCANA­LSTUDIOCAN­AL Charmant, schillernd – und unehrlich: Christoph Waltz macht Amy Adams erst schöne Augen, dann gibt er ihre Bilder als die seinen aus.

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