Dem Schwindel in die Augen sehen
Mit Kinderporträts wurde er populär. Selbst gemalt hat er aber keines: Christoph Waltz spielt einen berühmten Hochstapler.
WIEN. Riesige Augen in ernsten Gesichtern, mit Stupsnäschen und schwellenden Lippen: In den Sechzigerjahren waren die unverwechselbaren Kinderporträts mit der Signatur „Walter Keane“vor allem in den USA allgegenwärtig. Sie wurden auf Postkarten gedruckt, auf Kalender, auf Poster. Keane verdiente nicht mit dem Verkauf der Leinwände, sondern mit der Produktion billiger Drucke. Er beschenkte Filmstars mit den Bildern, reklamierte sie in Kunstsammlungen hinein, und die Menschen kauften die Reproduktionen zu Hunderttausenden, zum Entsetzen seriöser Kunstkritiker, die die kulleräugigen Kinderdarstellungen als geschmacklosen Kitsch bezeichneten. Zumindest Andy Warhol fand es toll: „Ich bin begeistert von dem, was Walter Keane da gemacht hat. Es muss gut sein. Wäre es schlecht, würden das nicht so viele Leute mö- gen.“Dieses Zitat hat Regisseur Tim Burton seinem Film „Big Eyes“über den erstaunlichen Erfolg von Walter Keane vorangestellt, der am Freitag ins Kino kommt. Die Geschichte ist mehrfach bemerkenswert: Keane war der Erste, der mit massenhaften Kunstreproduktionen wirklich reich wurde, gegen den erbitterten Widerstand der Kritiker. „Big Eyes“handelt also von populistischer Kunst. Vor allem war Keane aber ein Betrüger, der nur behauptete, Urheber dieser Bilder zu sein: In Wirklichkeit malte Keanes Frau Margaret die traurigen Kindergesichter, die sich so gut verkauften, der Film ist eine kühne Hochstaplergeschichte. Und er ist die Erzählung einer Emanzipation in einem Klima, das Frauen nur allmählich eigenen Schöpferwillen zugestand. Denn irgendwann wurde selbst der sanftmütigen Margaret Keane die Geltungssucht ihres Mannes zu viel: Sie forderte die Scheidung, und entlarvte ihn vor Gericht als Betrüger.
Margaret Keane wird in „Big Eyes“von Amy Adams gespielt. Margaret lernt Walter Anfang der Sechzigerjahre kennen: Gerade hat sie ihren ersten Ehemann verlassen und ist mit ihrer kleinen Tochter nach San Francisco gezogen, um sich als Malerin zu etablieren. Walter Keane, gewohnt charmant-diabolisch dargestellt von Christoph Waltz, erobert Margaret im Sturm: Er schwärmt ihr vom Leben in Paris vor, zeigt ihr angeblich eigene Malerei, und als es zum Sorgerechtsstreit mit ihrem Ex-Mann kommt, macht er ihr einen Heiratsantrag.
Die erste Zeit an der Seite des schillernden Entertainers Walter ist aufregend. Doch als er für sie eine erste Ausstellung organisiert, gibt er sich kurzerhand selbst als Maler der traurigen Kinder aus. Sie spielt mit, weil er bei Käufern so überzeugend ist. Der Erfolg gibt ihm recht.
Tim Burton, Erfinder melancholischer Wesen wie „Edward mit den Scherenhänden“und skurriler Wel- ten wie „Nightmare Before Christmas“, ist seit Jahrzehnten Sammler von Margaret Keanes Malerei. Natürlich ist ihm bewusst, wie abstoßend viele Betrachter ihre Bilder empfinden: „Mich hat interessiert, wie sehr die Bilder polarisieren: Ist das Kunst? Oder kompletter Kitsch?“Die Frage stellt auch „Big Eyes“, und die Antwort liegt ganz beim Betrachter.
Im Jahr 2000 starb Walter Keane, ohne seine Hochstapelei je eingestanden zu haben. Die 87-jährige Margaret malt immer noch. Jahrelang hatten verschiedene Produzenten sie umworben, um ihre erstaunliche Lebensgeschichte zu verfilmen. Dass es nun Burton ge- worden ist, liegt auch an dessen aufrichtigem Interesse für ihre Malerei. Doch „Big Eyes“kann sich nicht recht entschließen, wo er hinwill: das Kunstszene-Dramolett inklusive Medienhype, das exemplarische Ehedrama einer Ära oder die schrittweise Demontage eines Wahnhaften? Für alle drei Erzählungen findet Burton nicht genug Platz in seinem Film.
In wenigen Momenten blitzt auch sein Faible fürs Surreale hervor, etwa wenn Margaret im Supermarkt ihre auf T-Shirts und Tassen gedruckten Kinderbilder findet und alle Menschen im Geschäft plötzlich riesige Augen bekommen. „Big Eyes“versucht die Balance zwischen einer glaubwürdigen Biografie und einem Tim-Burton-Film und bekommt beides nicht richtig hin.
„Ist das Kunst? Oder völliger Kitsch? Das hat mich interessiert.“
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