Neuer Anlauf für einen Mindestlohn
Die Sozialpartner in Österreich halten nichts von einem Mindestlohn. Die Grünen wollen ihnen diesen nun schmackhaft machen, indem sie sich aufs Feld abseits der Kollektivverträge begeben.
SALZBURG. Die Deutschen haben ihn seit Jänner: den Mindestlohn. In Österreich wurde bisher jeder Ruf danach von den Sozialpartnern im Keim erstickt. Heute, Donnerstag, starten die Grünen im Parlament einen neuen Anlauf für einen Mindestlohn und wollen dies mit einem abgespeckten Plan auch der Gewerkschaft schmackhaft machen.
Laut Statistik Austria arbeiten rund eine halbe Million der insgesamt 4,3 Millionen Beschäftigten in Österreich für weniger als 9,30 Euro brutto in der Stunde. Das ist jener Wert, den die Grünen nun als aktuellen Mindestlohn fordern. Unter den 500.000 Beschäftigten sind freilich auch Arbeitnehmer, die in Branchen mit Kollektivvertrag (KV) arbeiten. Laut stellvertretendem Gewerkschaftsgeschäftsführer der Privatangestellten, Karl Proyer, „fallen 250.000 Beschäftigte nicht unter einen Kollektivvertrag“, das entspricht einer KV-Abdeckung von mehr als 95 Prozent.
Nationalrätin Birgit Schatz, Arbeitnehmersprecherin der Grünen, bezweifelt diese Zahl. Denn laut einer Studie der Universität Linz liegt die KV-Abdeckung bei 82 Prozent. Vor allem in den unsichtbaren Wirtschaftssektoren wie Social-MediaKommunikation oder bei persönlichen Dienstleistungen sei der Vertretungsgrad innerhalb der Sozialpartnerschaft gering, sagt sie. Es gebe aber auch in Branchen, die eigentlich einen Kollektivvertrag haben, Beschäftigte, die eben unter keinen KV fallen. Als Beispiel nennt Schatz Animateurinnen und Animateure, Skilehrer oder bestimmte Freizeitbetreuer, wobei es in verschiedenen Bundesländern unterschiedliche Regelungen gibt. Unabhängig von den Auffassungsunterschieden über die Zahl der Betroffenen werden die Grünen im Parlament nun Anträge einbringen, die unter anderem einen gesetzlichen Mindestlohn nur für jene fordern, die nicht unter eine kollektivvertragliche Regelung fallen. Denn bisher hatten ÖVP und SPÖ Min- destlöhne mit dem Hinweis darauf, dass Löhne von den Sozialpartnern, wie Gewerkschaften und Fachverbänden, besser verhandelt würden, abgelehnt.
Doch Gewerkschafter Proyer winkt auch beim neuen Vorschlag ab. Die Skepsis gegenüber gesetzlichen Mindestnormen bleibe, „weil das Parlament diese auch heruntersetzen kann“, sagt er. Proyer führt als Beispiel Griechenland an, das wegen des Spardrucks den Mindestlohn gesenkt hat. „Die Sehnsucht danach ist bei uns nicht groß“, sagt Proyer. Es gebe in Österreich genug Instrumente, mit denen man Mindestlöhne durchsetzen könne, wenn es keinen KV gebe, etwa über das Bundeseinigungsamt. Er ver- weist auf Beispiele, etwa in der Erwachsenenbildung. Zudem gebe es das legistische Mittel „ortsübliches Entgelt“, das Gewerkschaft oder Beschäftigte nutzen könnten, um Mindestlöhne durchzusetzen. Proyer betont, dass diese Instrumentarien gut, wenngleich verbesserungswürdig seien. So müssten die Mindestlöhne im Arbeitsverfassungsgesetz klarer formuliert und der Bereich erweitert werden. Zudem müsse die Durchsetzung verbessert werden.
Auch die Grünen setzen in einem zweiten weitergehenden Antrag (Entschließungsantrag) für eine Gesetzesvorlage beim Bundeseinigungsamt an. Denn das nutze seine Möglichkeiten zu wenig, sagt Schatz. Deshalb soll es mehr Kompetenzen bekommen und künftig in jenen Bereichen, in denen der KV nicht angewendet wird, weil die Arbeitgeber nicht kollektivvertragsfähig sind, ein Entgeltschema festlegen, das sich nach vergleichbaren Branchen richtet. Zusätzlich sollen Kontroll- und Abgabenbehörden das Bundeseinigungsamt informieren müssen, wenn sie das Fehlen eines KV feststellen.
Bei der Gewerkschaft sieht man die Probleme ganz woanders: „Unser Kernproblem ist, dass sich Arbeitgeber nicht an Kollektivverträge oder Mindestlohnfestsetzungen halten“, sagt Proyer. Hier bräuchte man eine Verbesserung der Durchsetzungsmöglichkeiten. So sei man gerade dabei, bei Ferialpraktika Umgehungen aufzuzeigen. Wie die Durchsetzung von Mindest- oder ortsüblichen Löhnen besser gewährleistet sein könnte, erklärt er so: Es bräuchte ein vereinfachtes Verfahren für Mitarbeiter, dass sie ihr richtiges Gehalt bekommen, wenn durch die Gebietskrankenkasse schon feststeht, dass es einen Dienstvertrag gibt. Im Bereich der Praktika für Jugendliche, aber auch bei freien Dienstnehmern ortet Proyer eine gewisse „Kultur der Umgehung“.
Die von den Grünen geforderten 9,30 Euro errechnen sich aus 60 Prozent des Medianstundenlohns, was in der Forschung als gerechter Arbeitslohn gilt. In Deutschland beträgt der Mindestlohn 8,50 Euro. Erste Erfahrungen nach mehr als 100 Tagen sind durchwegs positiv: Die Nachfrage wurde belebt, Preise stiegen nur in Einzelfällen, kritisiert wird die Dokumentationspflicht.