Dem Selfie-Fieber auf der Spur
Millionen Menschen lichten sich per Smartphone selbst ab und teilen ihre digitalen Schnappschüsse mit der Welt. Warum? Das fragt sich jetzt auch die Wissenschaft.
Arm ausstrecken, lächeln, klick – fertig ist das Selfie. Nun das digitale Selbstporträt per Smartphone an Freunde versenden oder auf Facebook posten und allen mitteilen: Das bin ich, das mache ich, hier bin ich! Millionen Menschen weltweit präsentieren sich so, auch an Blitzlicht gewöhnte Promis. Höchste Zeit also, finden Wissenschafter, das SelfieFieber zu analysieren. Denn das sei „nicht einfach nur irgendein vorübergehender Hype der Netzkultur, sondern eine beachtenswerte kulturelle Praxis“.
„Selfies gibt es ja schon länger“, sagt Jens Ruchatz, Medienwissenschafter und Mitorganisator der Tagung. Doch erst seit etwa 2012/2013 seien sie ein viel beachtetes Medienphänomen. Laut einer US-Medienpsychologin sind digitale Selbstbildnisse unter dem Namen Selfie erstmals 2004 im Internet aufgetaucht. „Zur Popularität hat sicherlich auch beigetragen, dass es das Oxford Dictionary zum Wort des Jahres 2013 gemacht hat, sowie das Oscar-Selfie – dass also Stars diese Praxis übernommen haben“, sagt Ruchatz.
Bislang gibt es nur wenige Forschungsarbeiten zum Thema. Deshalb soll es bei der Konferenz, zu der fast 30 Wissenschafter unter anderem aus Kanada, Israel und Ita- lien erwartet werden, erst einmal um Grundlegendes gehen.
Etwa: Sind Selfies einfach nur eine neue Form des Selbstporträts? „Man kann natürlich Selbstporträts als Vorläufer betrachten“, meint Ruchatz. „Aber haben Selfies wirklich noch etwas damit zu tun? Es geht hier weniger um ein gültiges Bild einer Persönlichkeit als um den Akt der Kommunikation, indem ich das Bild und meine Erfahrungen unmittelbar mit anderen teile.“
Eine andere Frage wäre: Sind die Eigenfotos nur etwas für Selbstdarsteller? „Typisch ist es, ein neues Medium erst einmal zu pathologisieren“, sagt Ruchatz. „Selfies sind dann der Ausdruck von Narzissmus und Selbstverliebtheit. Das gibt es natürlich auch. Aber meiner Meinung nach haben Selfies als breites Phänomen erst einmal nichts mit Narzissmus zu tun. Sie werden ja häufig beiläufig gemacht – und ich lasse damit Menschen an meinem Leben teilhaben.“
Das Smartphone steht auch im Mittelpunkt einer Ausstellung zur Kulturgeschichte des Handys, die ab Samstag im Frankfurter Museum für Angewandte Kunst zu sehen ist. Einer der Wissenschafter, die daran mitarbeiteten, ist Wolfgang Ullrich, Professor für Kunstwissenschaft und Medientheorie in Karlsruhe. Sein Befund: „Das Smartphone hat als neuer Produkttyp in fast einzigartiger Weise in den Alltag der Menschen hineingewirkt.“In kürzester Zeit seien „neue kulturelle Rituale“entstanden. Das zeige, „wie mächtig Dinge sein können“. Man könne das unterschiedlich bewerten: „Kritisch gesehen könnte man sagen, sie dominieren und manipulieren uns. Positiv betrachtet könnte man sagen, sie sozialisieren uns.“