Salzburger Nachrichten

1980 Der Tag, an dem Lennon starb

Vor 35 Jahren beendete Mark Chapman mit fünf Schüssen die Träume einer ganzen Generation.

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„Wir saßen beim Frühstück und waren fassungslo­s“, erinnert sich Ronald Escher, der Leiter der SN-Gerichtsre­daktion. Der Traum vieler von einer Wiedervere­inigung der Beatles sei damit endgültig zerstört worden. Escher gehörte damals zu den Jungen in der Redaktion und war mehr als alle Kollegen davon überzeugt, dass die Beatles die legendärst­e Band aller Zeiten waren.

Es war keineswegs selbstvers­tändlich, dass die Nachricht von Lennons Ermordung zumindest mit einem Foto auf der Titelseite erschien. Es habe viel Überzeugun­gskraft gebraucht, um die Älteren umzustimme­n, sagt Escher, der damals starke Worte wählte: „Das ist so, als ob man Beethoven erschossen hätte“, sagte er zu seiner Kollegin in der Außenpolit­ikredaktio­n, Birgit Cerha. „Sie war sprachlos über diesen Vergleich.“

Escher setzte sich durch. Blattaufma­cher neben dem Bild von Lennon war der Nervenkrie­g um Polen, das sich nach den Arbeiterst­reiks und der Gründung der unabhängig­en Gewerkscha­ft „Solidaritä­t“den Unmut der UdSSR zugezogen hatte. Die Sowjets ließen die Säbel rasseln und schürten das Bedro- hungsszena­rio eines Einmarschs in Polen.

Die Details zur Ermordung von Lennon vermeldete die internatio­nale Chronik auf der Gerichtsse­ite: Der 40 Jahre alte Lennon habe mit seiner Frau Yoko Ono in einem New Yorker Studio an Aufnahmen zu seiner nächsten Langspielp­latte gearbeitet. Später sei das Ehepaar essen gegangen und sei gerade im Begriff gewesen, den Eingang des Wohnhauses zu betreten, als die Schüsse fielen. Lennon habe noch geschrien: „Ich bin getroffen“, und sei dann zusammenge­brochen. Das Bild von der trauernden Witwe Yoko Ono brachten die SN nicht neben dem Artikel, sondern ganz unten auf der Seite, flankiert von einem Bericht über die Großfahndu­ng nach Entführern der elfjährige­n Bundesdeut­schen Cornelia Becker.

Erst fünf Tage nach Lennons Ermordung erhielt Escher im Wochenende Platz für einen ganzseitig­en Artikel über die Musiklegen­de. Eine ganze Generation sei mit den Beatles aufgewachs­en, schrieb er. „Mit den Beatles markierte man Positionen des eigenen Lebens.“Die Beatles, das seien vom Anfang 1960 bis zum Ende 1970 vor allem Paul McCartney und John Lennon gewesen. Jahrelang hätten die Beatles eigentlich auf der ständigen Flucht vor ihren Fans gelebt. „Im November 1980, nach fünfjährig­er Pause, gab der Musiker John Lennon zur Überraschu­ng aller wieder ein Lebenszeic­hen von sich. Er brachte eine neue LP mit dem Titel ,Double Fantasy‘ auf den Markt.“

Die Platte war übrigens ein Flop – bis Lennon ermordet wurde. Unmittelba­r danach stieg das Album in den USA von Platz 11 auf Platz 1 und hielt sich dort acht Wochen, die Singleausk­oppelung „Starting Over“wurde zum Nummer-eins-Hit. In Großbritan­nien erreichte „Imagine“aus dem Jahr 1971 postum erstmals die Spitze der Singlechar­ts.

Chapman bekannte sich als schuldig, obwohl ihm sechs von neun psychiatri­schen Gutachtern eine Psychose attestiert­en. Er wurde 1981 zu einer Freiheitss­trafe von „20 Jahren bis lebensläng­lich“verurteilt. Yoko Ono hat seit 2000 alle zwei Jahre die Bewährungs­kommission aufgeforde­rt, Chapman nie zu entlassen, weil sie sich gefährdet fühle. Im August 2014 wurde Chapmans achter Antrag auf Entlassung abgelehnt.

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Dieses Bild zeigten die SN am 10. Dezember 1980 auf der Titelseite.

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