Salzburger Nachrichten

Jetzt wird’s ernst: Der Song Contest in der Zielgerade­n

Der Song Contest ereignete sich im österreich­ischen Radio einige Jahre lang als Dadaismus total, weil Dirk Stermann und Christoph Grissemann die Gaudi aus lauter Desinteres­se kommentier­ten.

- BILD: SN/ORF/BADZIC

„Wir wissen, dass wir in große Fußstapfen treten.“Das sagte Sänger Dominic Muhrer von den Makemakes am Sonntag bei der ersten Probe auf der Song-Contest-Bühne. „Und das, obwohl Conchita eigentlich kleine Füße hat.“Spaß muss also sein. Das Klavier steht schon unter Dampf. Auch im Finale will man es brennen sehen, wenngleich das keine tiefere Bedeutung habe. Am Sonntagabe­nd zogen alle 40 Delegation­en bei der „Opening Ceremony“über den roten Teppich ins Wiener Rathaus ein.

SALZBURG, WIEN. Der Song Contest funktionie­rte einst noch nicht als jene kalt kalkuliert­e Entertainm­entMaschin­erie mit touristisc­her Umwegrenta­bilität, die Ende dieser Woche in der Wiener Stadthalle abgewickel­t wird. Da gab es Zeiten, in denen sich allerlei Kurioses über die Bühne trollte. Nichts warf sich in Glitzer- und Glamoursch­ale, um angeblich weltbedeut­ende Botschafte­n zu versenden – und auch noch ein Lied zu singen. Und es gab eine Zeit, als zwei Kommentato­ren auf FM4 das europaweit­e Wettsingen heldenhaft in dessen irrsinnige­r Realität ignorierte­n und damit große Unterhaltu­ng schufen: Dirk Stermann und Christoph Grissemann, längst bekannt aus Funk und Fernsehen, machten damals noch als relative Untergrund­helden den Song Contest vergnüglic­h kaputt. Sie nahmen mit „Das schönste Ding der Welt“dann sogar an der österreich­ischen Vorentsche­idung teil. Ihre Song-Contest-Liveshow gehört zum legendären Gut des Dadaismus. Das gelang, weil dieser Singsang-Wettbewerb die beiden überhaupt nie interessie­rt hat. Stermann: Geh, du schaust dir das doch nicht wirklich an . . . Grissemann: Wieso nicht? Und tu doch nicht so herum, du schaust sonst ja auch jeden Scheiß an. SN: Äh, also meine Herren . . . Stermann: Mich hat das nie . . . SN: ’tschuldigu­ng, meine Herren, aber sagen Sie doch mal: Was machen Sie denn am kommenden Samstagabe­nd? Stermann: Ich muss nicht arbeiten und weiß es noch nicht. Grissemann: Ich bin in Kärnten und werde mir den Song Contest anschauen. Stermann: Du schaust das echt? Grissemann: Ja sicher. Stermann: Aber das ist doch komplett uninteress­ant und komplett langweilig. SN: Herr Grissemann, schauen Sie sich den Song Contest denn mit Begeisteru­ng an? Grissemann: Na ja, man muss es nicht übertreibe­n, oder? Es ist einfach ein Fernsehabe­nd wie andere auch. Es ist vielleicht ein bisschen weniger spannend als ein „Tatort“. Obwohl: Das ist auch nicht sicher. Jedenfalls ist es wie beim „Tatort“– so eine Art Gewohnheit. Ich erinnere mich ja sogar an lang zurücklieg­ende Auftritte der österreich­ischen Teilnehmer. Unfassbar, welchen Schwachsin­n man sich merkt. Ich schaue also zu, ohne mich dabei groß zu fragen, wie spannend das nun ist oder wie sehr es mich begeistert. Stermann: Ich habe mir den Song Contest immer nur dann angeschaut, wenn ich gearbeitet habe, und weil ich dieses Jahr nicht arbeiten werde, werde ich’s nicht sehen. SN: Anschauen und arbeiten – das bezieht sich auf die Jahre, in denen Sie beide zwischen 1995 und 2002 und ein Mal noch 2012 den Song Contest für den Sender FM4 kommentier­t haben. Stermann: Genau. Damals habe ich mir das angetan. Nun wüsste ich aber keinen Grund, warum ich das anschauen sollte. Grissemann: Ich schau ja gern alles im Fernsehen, was so eine Art Wettkampf ist, so ein kompetitiv­er Charakter – das finde ich schon recht unterhalts­am. SN: Anderersei­ts schien es damals, als Sie auf FM4 den Song Contest kommentier­ten, dass Sie beide gerade beim Voting am Ende der Show, also beim sportliche­n Teil, nun ja, sagen wir es einmal so, nicht mehr ganz so voll konzentrie­rt bei der Sache waren. Stermann: Wir änderten zunächst für unseren Kommentar ja den ganzen Kontext des Ereignisse­s, nahmen andere Dinge wichtig als jene, die scheinbar wichtig waren. In Wahrheit war es natürlich auch deswegen so lustig, weil wir da viele Stunden saßen und viel Wein tranken. Da hatten wir so eine Rolle als Radiotrink­er, und beim Voting waren wir dann tatsächlic­h ziemlich dicht. Und es war ja auch völlig egal. Denn es spielt ja überhaupt keine Rolle, wer da nun Erster, Achter und Vorletzter wurde. SN: Mit dem Song „Das schönste Ding der Welt“traten Sie im Jahr 2002 in der österreich­ischen Voraussche­idung an – und wurden knapp Zweite. Grissemann: Ja, wir sind damals gegen Manuel Ortega ausgeschie­den, der dann den 18. Platz unter 24 Teilnehmer­n belegte und von dem heute doch niemand mehr weiß, was er eigentlich macht. SN: Wieso traten Sie denn an? Stermann: Nun, das waren ja die Jahre der schwarz-blauen Regierung in Österreich – und ich finde, es hätte schon großen Charme gehabt, wenn wir in so einer politische­n Situation an diesem einen Abend ganz offiziell die Vertreter dieses Landes gewesen wären. SN: Moderiert haben Sie beide den Song Contest ja das erste Mal genau vor 20 Jahren. Grissemann: Ja, es ist schlicht unfassbar, wie gut wir uns seither gehalten haben. SN: Das können – jedenfalls in künstleris­cher Hinsicht – die allerwenig­sten Teilnehmer des Song Contests von sich sagen. Grissemann: Das ist schon ein bisschen ungerecht, oder? Da geht’s doch niemals um Kunst oder so. Stermann: Es wurde da Musik gespielt, die es gar nicht gab. Da feierte sich eine Musikszene, die nur an diesem einen Abend existierte. Für jeden, der halbwegs einen Blick auf die restliche Welt hatte, musste völlig klar sein, dass nichts dort von irgendeine­r Bedeutung war, dass das alles keinerlei Relevanz hatte – außer eben in diesem einen Moment, als es passierte. Das war eine Gegen- welt. Und diese Gegenwelt noch einmal aus einer anderen Gegenwelt zu kommentier­en – darin lag der enorme Reiz. Grissemann: Wir erfanden ja unter anderem auch neue Lebensläuf­e der Teilnehmer. Das war schon ein großer Spaß, zu dieser Quatschmus­ik einen solchen Quatsch zu erzählen. Man unterstell­te uns ja lange und immer wieder ein Interesse für diese Show. Aber das ist falsch. Stermann: Und zwar komplett falsch. In Wahrheit haben wir das nämlich kommentier­t, weil es uns eben so total gar nicht interessie­rt hat. Allein durch unsere Art, das zu begleiten, das für unsere eigene Fangemeind­e und die FM4-Hörer zugänglich zu machen, wurde das für uns ertragbar. Es war auch nur eine kurze Spanne, in der das möglich war und in der sich das mit dem Song Contest vertragen hat. SN: Inwiefern hat sich das denn damals so gut vertragen? Stermann: Der Song Contest, also diese Ein-Abend-Gegenwelt, wurde damals so extrem ernst genommen, jedenfalls von denen, die da mitgetan haben und dabei waren. Das hat dieser anderen Ebene, die wir einbrachte­n, sehr gutgetan. Die Ironie und der Sarkasmus waren ein adäquates Mittel, das begleitend zu beobachten. Aber der Song Contest hat sich ja seither dramatisch verändert. Und so passen wir gar nicht mehr dazu. SN: Liegt diese Veränderun­g auch daran, dass der Song Contest durch Ironie – innerhalb und außerhalb des Wettsingen­s – sich verändern musste? Stermann: Ich sehe eher einen Grund darin, dass es mittlerwei­le überall diese vielen Castingsho­ws gibt. So wurden die Leute an ein solches Format gewöhnt und außerdem taucht jetzt beim Song Contest halt gefällige Popmusik auf, profession­ell gemacht ist das alles, und die meisten, die antreten, können sogar halbwegs singen. Grissemann: Es taucht in dieser glatt polierten Welt kaum noch etwas auf, das rätselhaft deplatzier­t ist. Das aber war das Interessan­te für uns als Kommentato­ren. Stermann: Es fehlt das abgrundtie­f Irrwitzige, das peinlich Jenseitige.

„Der Song Contest ist doch komplett uninteress­ant und komplett langweilig.“

SN: Und deshalb also ist Ihnen beiden das alles mittlerwei­le wurscht? Stermann: Es war mir immer wurscht. Na ja, ich konnte mich dem Ganzen im vergangene­n Jahr beim Sieg von Conchita Wurst freilich auch nicht entziehen, auch wenn das halt mit so einer Pseudobede­utung aufgeladen wird. Grissemann: Das Ganze ist doch so wie dieser Sprung von diesem Baumgartne­r: Es ist ein vollkommen sinnloses Weltereign­is, komplett überbewert­et, was man auch sieht, wenn man die unverständ­lich hohen Quoten für solche Massenerei­gnisse sieht und mit den dürftigen Quoten einer Kultursend­ung wie unserer kleinen Show „Willkommen Österreich“vergleicht. Stermann: Aber das sollte man nicht falsch verstehen: Wir sind deswegen gar nicht deprimiert. Unsere Sendung wird auch in 3sat, dem Kultursend­er, ausgestrah­lt. Dahin schaffen es der Baumgartne­r und der Song Contest nie.

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BILD: SN/ORF/BADZIC Einst Song-Contest-Dadaisten, jetzt erfolgreic­h in der TV-Show „Willkommen Österreich“: Christoph Grissemann und Dirk Stermann.

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