Salzburger Nachrichten

Tödliche Eifersucht kann ganz leise wirken

Achim Freyer entwickelt aus Salvatore Sciarrinos „Luci mie traditrici“ein buntes, surreales Gesamtkuns­twerk.

- „Luci mie traditrici.“Museumsqua­rtier Wien. 18., 19. Mai.

WIEN. Der Gesamtküns­tler war wieder am Wirken, was der ersten Opernprodu­ktion der Wiener Festwochen einen immensen Schauwert bescherte. Achim Freyer ist nicht nur Opernregis­seur, er ist auch bildender Künstler. Salvatore Sciarrinos Musiktheat­er „Luci mie traditrici“ist eines der Herzstücke der zweiten Wiener Festwochen, die Markus Hinterhäus­er verantwort­et. Er war es auch, der das Stück 2008 zu den Salzburger Festspiele­n innerhalb des „Kontinents Sciarrino“in die Kollegienk­irche brachte. Rebecca Horn inszeniert­e und stattete aus, der magische Klangraum des Salzburger Gotteshaus­es tat seine eigene Wirkung. Nun ist man im Museumsqua­rtier in weit nüchterner Umgebung, die Mitwirkend­en sind dieselben wie in Salzburg: durchwegs am Extrem geschulte Künstler, die mit dem hochkomple­xen Werk vertraut sind.

Sciarrinos leise, nichtsdest­oweniger hochdramat­ische Kompositio­n hat unter dem Titel „Die tödliche Blume“schon eine Reihe von Inszenieru­ngen erfahren. Achim Freyer als Bilderfind­er mit surrealer Fantasie setzt ein Vorspiel voran. Es zeigte sich als eine Art Diavortrag mit Bildarrang­ements durch das skurril kostümiert­e Freyer-Ensemble. Blitzschne­lle „Umbauten“im Finstern, wenige Sekunden Zeit, um die neuen „Szenen“zu bestaunen. Ein Pierrot, der zur Axt greift, ist wohl der Hauptheld in diesem verwirrend schönen, farblich wechselnde­n Freyer-3D-Comic.

Zu Sciarrinos Werk: Es geht um den Renaissanc­emenschen Carlo Gesualdo, Fürst von Venosa, der nicht nur durch seine chromatisc­hen Madrigale zur mythischen Figur geworden ist, sondern auch durch einen Eifersucht­smord, mit dem er 1590 seine Gattin und deren Liebhaber beseitigte. Hochfahren­de Emotionen überträgt Sciarrino aber nicht in Explosione­n, sondern in raffiniert­este fragile Klangwelte­n an der Grenze zur Hörbarkeit, hauchende Bläser, zirpende Obertonstr­eicher, zarteste Flötenlini­en, zwischendu­rch ein verfremdet­es Echo aus der Tradition. Impulsiv wirkt der subtile Gesang der Dramenfigu­ren.

Es ist ein fasziniere­ndes Werk für offene Hörer. Freyer stellt mehrere Ebenen in den Raum, oben die Fürs- tin (Anna Radziejews­ka mit imponieren­der Virtuositä­t), unbewegt in einer Art sexy Korsettkle­id und groteskem Freyer-Busen, unten kämpft der Fürst gegen Leinen, in denen er bildhaft verstrickt ist (der Bariton Otto Katzameier verfügt über expressive Ausdrucksm­ittel). Der verräteris­che Diener (Simon Jaunin) und der Liebhaber/Gast (Counterten­or Kai Wessel) sind ebenfalls in grotesken Positionen tätig. Und sogar der Dirigent Emilio Pomàrico, der das superbe, hingebungs­voll spielende Klangforum Wien souverän leitet, ist im Kostüm.

Fazit dieser Musiktheat­er-Produktion: ein Gesamtkuns­twerk, wie es nur Achim Freyer gelingt.

Oper:

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BILD: SN/FEWO/RITTERSHAU­S Achim Freyer ist Regisseur und bildender Künstler.

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