Bomber über Tirana
Albanien, Kosovo und die Bomben der NATO: Wer in den Krieg geht, um von dort zu berichten, kommt anders heim. Erinnerung an ein aussichtsloses Unterfangen.
SALZBURG, Sogar das Outfit fühlt sich falsch an am Grenzübergang Morina im nordalbanischen Gebirge. Düsterer, kalter Regentag. Einige Journalisten-Kollegen in Tarnfarben, die meisten in dunklen Anoraks. Ich hingegen trage eine gelbe Jacke. Sie sticht peinlich aus dem Elend. Unter uns auf der Straße ziehen in langer Schlange Flüchtlinge aus dem Kosovo herüber nach Kukës, dem ersten größeren Ort in Albanien. Aus Schlitzen in Betonbunkern an der Grenze folgen uns serbische Gewehrläufe. Gelbe Jacke! Was für eine Zielscheibe im Grau dieser Tage in Albanien.
Der Balkan war jahrelang schon Schlachtfeld, der Kosovo – albanisch und serbisch bewohnt und umkämpft – ein Pulverfass. Am 24. März 1999 eskaliert die Lage international: Es beginnt die Operation Allied Force, sprich NATO-Luftangriffe auf Serbien. Der Kosovo explodiert.
Mit Kollegen Josef Schorn, zwischen Irak und Afghanistan erprobter Krisenberichterstatter, berichte ich aus Albanien. „Schnelle Eingreiftruppe“nennen wir das hausintern. Seit ein paar Monaten bin ich bei den SN. Dass man sich auf einen Einsatz im Krieg freut, ist das der letzte Rest jugendlichen Ungestüms, ist es geprägt von schreibenden Vorbildern? Jedenfalls ist es ein journalistischer Abenteuerspielplatz auf dem Feld des Grauens und Leids und mit der hehren Idee, durch das Schreiben und das Informieren etwas zu ändern, eine Stimme der Geschundenen zu sein. Aber wer sind die eigentlich? Und gibt es andere?
Das Erfreuliche der Reise war, dass unter der Salzburger Leitung von Gerhard Huber das Österreichische Rote Kreuz flott ein Flüchtlingslager einrichtete. Das Tragische war, über sinnlose Kriegslust selbst erklärter albanischer Freiheitskämpfer zu schreiben – und vor allem über Menschen, die oft nichts mehr hatten als das Gewand am Leib und einen Esel, der einen klappernden Karren zog. Menschen, die auf einem riesigen in Regen und Schlamm versinkenden Feld im Spätwinter der albanischen Berge landeten. Sie hatten viel Grausames zu erzählen.
In meiner Hosentasche steckte damals John Steinbeck, als Ablenkung und als Abschreibvorlage gleichermaßen. „An den Pforten der Hölle“– so heißen seine gesammelten Kriegsreportagen aus dem Zweiten Weltkrieg. Da gibt es eine Geschichte, in der er an der Front in Süditalien liegt und nur beschreibt, was er erlebt: nichts außer Sträuchern, Sand, Wind, hin und wieder Schüsse. Strategie? Gesamtzusammenhang? Nirgends zu finden. In solcher Ohnmacht wird Grauen verständlich. Und so ohnmächtig fühle ich mich auch. Im Gatsch von Kukës. Oder später in Tirana, in einer Bar, wo B52s serviert werden, während im Nachthimmel das Dröhnen der Bomber gleichen Namens zu hören ist. Sie fliegen Richtung Ex-Jugoslawien. Nicht bloß wegen des Geschehens lähmt die Ohnmacht. Die Ohnmacht war auch journalistisch. Keine Chance, die andere Seite zu sehen, angewiesen auf Gerüchte. Keine Chance zu überprüfen, was einem erzählt wird.
Eine Grundsubstanz des Journalismus funktioniert hier nicht mehr. Es lässt sich für den Einzelnen, für uns, nicht klären, ob das Erzählte – sei es noch so gewaltig – tatsächlich stimmt. Von der „Hölle im Kosovo“schreiben wir, von Brandschatzerei und Vergewaltigung, von zerstörten Häusern und vielen Toten. Gesehen haben wir sie nicht. Es ist dann nur mehr zu schreiben, was zu hören und zu sehen ist. Die andere Seite der Grenze ist im Dreck und Regen in den albanischen Bergen weiter entfernt als die Hoffnung auf einen sonnigen Tag.
Sonntag war es, als wir nach zwei Wochen wieder heimkamen. Ein strahlender Frühlingstag. Der Gastgarten war geöffnet.
„Irre, dass du da echt hin bist und geschrieben hast, gab einen guten Blick auf den Wahnsinn“, sagt ein guter Freund. Ich stutzte. Der Krieg als endgültige Herausforderung des Schreibens hat sich relativiert, die Fragen nach Wahrheit und Wahrhaftigkeit haben eine neue Dimension bekommen. Der Freund, weil er’s anders gemeint hat, und ich, noch viel zu müde und übervoll von den Bildern und der Aussichtslosigkeit, hatten in diesem Moment keine Ahnung, wie richtig in diesem Satz in vielerlei Beziehung das Wort „Wahnsinn“war.