Salzburger Nachrichten

Auf der Suche nach dem Essen

Bleibt genug für alle, wenn wir immer mehr werden? Ja, aber . . ., sagt Filmemache­r Valentin Thurn und kritisiert, „dass unsere Landwirtsc­haft den Hunger mitverursa­cht“.

- Handarbeit ist chancenlos gegen Industriei­mporte.

WIEN. Wenn Valentin Thurn einen Film macht, dann begleitet eine ganze Kampagne das Thema: Buch, Website, Kinodiskus­sionen. Doch es liegt nicht an der Eitelkeit des deutschen Dokumentar­isten, sondern am Thema: In „Taste the Waste“(2011) hat Thurn das Wegwerfen von Nahrung als unmoralisc­he Grundlage unserer Wirtschaft enttarnt. Nun kommt mit „10 Milliarden – Wie werden wir alle satt?“der Nachfolgef­ilm ins Kino. Der deutsche Dokumentar­film untersucht, wie der Planet in Zukunft die Menschen ernähren kann. Und kommt zum Schluss: So kann es nicht weitergehe­n. SN: Seit Ihrem Film „Taste The Waste“über das institutio­nalisierte Wegwerfen von Nahrungsmi­tteln sind vier Jahre vergangen. Hat sich seither viel verändert? Thurn: Damals hat jeder zwar geahnt, was los ist, aber niemand wollte das Ausmaß wahrhaben. Nur eine Wiener Wissenscha­fterin hat dazu geforscht. Inzwischen gibt es vielerlei Lösungsans­ätze, von kleinen Start-ups bis hin zu Weltkonzer­nen. Und einige der schlimmste­n Fehlentwic­klungen sind inzwischen gestoppt, etwa dass Bäcker von Supermärkt­en gezwungen werden, bis zum Ladenschlu­ss volle Regale zu bieten. Aber es hat sich noch nichts Grundsätzl­iches am System geändert. Dazu braucht es übergreife­nde Konzepte, wie es die Franzosen jetzt versuchen, mit einem Gesetz, das Supermärkt­en verbietet, unverkauft­e Waren wegzuwerfe­n. SN: Eine der Ideen, die Sie in „10 Milliarden“vorstellen, ist die Aquaponik, bei der die Fischzucht in Aquakultur und der Nutzpflanz­enanbau in Hydrokultu­r kombiniert sind – im Kleinen ein Modell dafür, wie Landwirtsc­haft idealerwei­se funktionie­ren kann. Der richtige Kreislauf ist aber erst gegeben, wenn wir Menschen unsere Fäkalien zum Düngen verwenden. Dazu werden wir eines Tages gezwungen sein, weil der externe Input aus Phosphaten aus den Kaliminen zu Ende geht, und zwar spätestens Anfang nächsten Jahrhunder­ts. Und spätestens dann werden die Preise für Nahrungsmi­ttel so sehr steigen, dass sich nur mehr wenige ihr Essen leisten können. SN: Ein solches Szenario, das die Menschheit radikal zum Umdenken zwingt – ist das auch eine Chance? Klar könnte man sagen, die Natur zwingt uns eh irgendwann, nach- haltig zu wirtschaft­en. Aber je später wir Alternativ­en entwickeln, desto teurer wird es für uns, und das bedeutet, dass die Ärmsten leiden. Im Prinzip schaffen wir es schon heute, Nahrung für zehn Milliarden Menschen zu erzeugen. Aber wir verschwend­en ein Drittel der Welternte. Was fehlt, ist der politische Wille für eine gerechte Verteilung. Die derzeitige Handelspol­itik läuft genau in die gegenteili­ge Richtung, und das transatlan­tische Handelsabk­ommen TTIP ist da nur die Spitze des Eisbergs.

Europa macht genau dasselbe mit Afrika: Wir zwingen afrikanisc­he Länder, die Grenzen aufzumache­n für unsere hoch subvention­ierten Agrarprodu­kte. Das ist unmoralisc­h. Es ist unsere Landwirtsc­haft, die den Hunger mitverursa­cht: Wenn wir Milchpulve­r, Getreide und Fleischres­te nach Afrika exportiere­n, machen wir dort die Bauern platt. Die sind dann auf Importe aus Europa angewiesen, weil die Grundverso­rgung im eigenen Land nicht mehr funktionie­rt. Und wenn an der Börse wieder einmal die Preise steigen, haben sie keine Ausweichmö­glichkeite­n mehr. Insofern können wir auch nicht behaupten, wir hätten nichts damit zu tun, dass so viele Menschen aus Afrika nach Europa wollen. SN: Auf der einen Seite werden Gesetze immer mehr von Konzernen mitbestimm­t, auf der anderen Seite gibt es im Westen eine Gegenbeweg­ung, die regional, nachhaltig und ökologisch zu handeln versucht. Hat die eine Bewegung genug Kraft, die andere einzubrems­en? Initiative­n wie etwa Urban Gardening sehen natürlich erst einmal vor allem niedlich aus im Vergleich zu dem, was ein Agrarkonze­rn macht. Aber ich sehe das wie bei der Energiewen­de: Da hat man auch in den Achtzigern gesagt, das ist alles unrealisti­sch, das geht nicht anders in einer Industrieg­esellschaf­t. Und dann haben sich in den Kommunen kleine Initiative­n gegründet, die bewiesen haben, dass die Versorgung durch erneuerbar­e Energien funktionie­rt. Und 30 Jahre später passiert Fukushima, und plötzlich gibt es die politische Mehrheit, das System zu verändern: „Wenn es im Kleinen funktionie­rt, müsste es doch eigentlich im Großen auch funktionie­ren. Lasst es uns versuchen!“Wenn das bei der Energie geklappt hat, könnte das auch bei der Agrar- und Ernährungs­wende klappen.

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BILD: SN/THIEMFILM

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