Warum die Menschen so wenig aus Kriegen lernen
Traumaforscher Franz Ruppert zeigt die Verstrickung von Kindern und Enkelkindern der Kriegsgeneration auf.
Die Auskunft, die der Psychotherapeut und Traumaforscher Franz Ruppert gibt, ist ernüchternd: Die Menschheit lerne wenig bis nichts aus Kriegen. Der Münchner Wissenschafter führt das auf die Traumatisierung durch Kriegserlebnisse zurück. „Nach meiner Auffassung ist Krieg Trauma, und solange wir unter dem Einfluss von Trauma stehen, ist es ganz schwierig zu lernen“, sagt Ruppert.
Bei der Vor-Eröffnung der Goldegger Dialoge im SN-Saal zeigte der Psychotherapeut den direkten Zusammenhang von Krieg und Trauma auf. Kriegshandlungen hätten das ausdrückliche Ziel, „den Feind“zu traumatisieren. Durch die Gewalt gegen „den Feind“würden sich aber auch die Täter selbst traumatisieren. Am Ende bleibe ihnen nur mehr der Versuch, sich durch Rechtfertigung und Verdrängung gegen das Bewusstsein zu schützen, dass sie im Krieg zerstört, getötet, vergewaltigt haben.
Konkret nennt Ruppert vier „Überlebensstrategien“traumatisierter Kriegsteilnehmer: ihre Täter- und Zeugenschaft abzustrei- ten, eine Opferbiografie zu erfinden, die von Gefangenschaft, Flucht, Vertreibung und feindlichen Bombenangriffen erzählt, anderen die Schuld zuzuschreiben und letztendlich Menschen, die nachfragen und nachforschen, zu bedrohen.
In solche Überlebensstrategien wurden seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs auch Kinder und Enkel der Kriegsgeneration verstrickt. „Das hat damit begonnen, dass sie bei ihren Eltern auf eine Mauer des Schweigens gestoßen sind und keine tiefere emotionale Bindung zu ihnen aufbauen konnten.“Im Einzelnen konnte diese Verstrickung in das Geschehene unterschiedliche Auswirkungen haben: Entweder die Kinder und Enkel haben selbst die Schuldgefühle ihrer Eltern und Großeltern gegenüber den Opfern übernommen oder sie haben, ganz im Gegenteil, an der Nazi-Ideologie ihrer Familie festgehalten.
Vor allem die Enkel gerieten nach Ansicht von Ruppert in ein Dilemma. „Einerseits haben sie positive Beziehungserfahrungen mit ihren Großeltern gemacht. Auf der anderen Seite können sie nicht mehr leugnen, dass derselbe Großvater im Krieg ein Täter war.“Vielfach sei dieser Widerspruch verdrängt worden, indem die Täter in der eigenen Familie zu Widerstandskämpfern oder zu „guten“Soldaten wie Sanitätern stilisiert wurden.
Um diese generationenübergreifende Traumatisierung zu überwin- den, brauche es Orte, wo Menschen „aus dem Stress der Rechtfertigung und der Ängste herausfinden“, sagt Ruppert. Ein solcher Ort könne die psychotherapeutische Arbeit sein. Es sei aber auch notwendig, die Traumatisierung durch Kriege in die öffentliche Diskussion zu bringen. Denn das Thema sei keineswegs mit dem Aussterben der Kriegsgeneration abgehakt.
Ruppert ist überzeugt, dass Menschen nur aus ihren seelisch kranken Anteilen Krieg führen können. „Wenn wir also aus dem Trauma der Kriege herauskommen wollen, müssen wir einen neuen Zugang zu unseren gesunden seelischen Anteilen finden.“