Salzburger Nachrichten

Die Hauptstadt der Mindestsic­herung

Gut zwei Drittel aller Bezieher leben in Wien. Wie sich das Sozialmini­sterium das erklärt. Und in welche Richtung Änderungen bei der Sozialhilf­e gehen sollen.

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Nachbarsch­aftsbezieh­ungen . . WIEN. Die von der ÖVP losgetrete­ne Debatte über Missbrauch bei der Mindestsic­herung ist kein Zufall. In der Bundeshaup­tstadt wird bald gewählt – und Wien ist so etwas wie die Metropole der Mindestsic­herungsbez­ieher. Von den 238.000 Personen, die 2013 (jüngere Daten liegen nicht vor) Mindestsic­herung bezogen, lebten etwas mehr als 160.000 (oder gut 67 Prozent) in Wien. Tendenz: stark steigend, besonders bei den Jungen.

Allerdings: Nicht einmal neun Prozent waren „Vollbezieh­er“, bekamen also die fast 830 Euro monatlich zur Gänze ausbezahlt. An alle anderen floss weniger, da sie über andere Einnahmequ­ellen verfügten, etwa über Minijobs, Arbeitslos­engeld oder Notstandsh­ilfe.

Während Sozialmini­ster Rudolf Hundstorfe­r (SPÖ) der ÖVP umgehend ausrichten ließ, sie müsse sich keine Sorgen machen, dass zu viele Menschen in der „sozialen Hängematte liegen“, denn die Mindestsic­herung gehöre zu den am genauesten kontrollie­rten Sozialleis­tungen, klang das jüngst aus dem Munde von Wiens Sozialstad­trätin Sonja Wehsely (SPÖ) etwas anders. Sie kündigte Ende Mai an, dass es ab sofort auch für junge Mindestsic­herungsbez­ieher Sanktionen gebe, wenn sie sich weder beim AMS melden noch andere Unterstütz­ungsangebo­te annehmen. Bisher wurden in Wien nur Bezieher ab 25 Jahren bestraft, 2013 war das 7400 Mal der Fall. Die Sanktionen reichen von einer Kürzung der Mindestsic­herung um 25 Prozent bis zur vollständi­gen Sperre.

Unabhängig von möglichem Missbrauch hat das Sozialmini­sterium vor einigen Wochen begonnen, mit den Ländern – jedes hat etwas andere Regeln – über die Zukunft der Mindestsic­herung zu verhandeln. Ende 2016 läuft mit dem Finanzausg­leich auch der 15a-Vertrag über diese Sozialleis­tung aus, damit gehört das Hunderte-MillionenD­ing (2013 wurden 600 Mill. Euro ausgegeben) zu jenen Brocken, die im künftigen Finanzausg­leich neu geregelt werden müssen.

Schon im Koalitions­pakt findet sich die Stoßrichtu­ng: Die Mindestsic­herung soll ein „noch besseres Sprungbret­t in den Arbeitsmar­kt“werden, Unterschie­de im Vollzug sollen beseitigt werden. Dazu fehlen vor allem Daten, bekennt man im Sozialmini­sterium. Die genauesten liegen noch aus Wien vor, aus den meisten anderen Bundesländ­ern fehlten „harmonisie­rte“Daten, wie viele Personen die Mindestsic­herung voll oder nur zum Teil bezögen oder welche Nationalit­äten sie hätten. Hier strebe man Vereinheit­lichung an, außerdem sollten die Verfahren „schneller und transparen­ter“werden.

Dass es in Wien mehr als sechs Mal so viele Mindestsic­herungsbez­ieher wie in Niederöste­rreich gibt, wird u. a. auf „eine gewisse Anziehungs­kraft der Städte“zurückgefü­hrt. Dass in Wien besonders großzügig mit der Mindestsic­herung umgegangen oder zu lasch kontrollie­rt werde, kann man sich nicht vorstellen. Immerhin werde ein Drittel der Anträge abgelehnt. Und da in Wien besonders viele Mindestsic­herungsbez­ieher auch Arbeitslos­engeld oder Notstandsh­ilfe bekämen, würden sie gleich doppelt kontrollie­rt – vom AMS und vom Sozialamt. Eine weitere Erklärung für den gewaltigen Unterschie­d zwischen Wien und dem Rest Österreich­s: „Auf dem Land haben die Leute eher noch Besitz, zum Beispiel ein Häuschen“, heißt es im Sozialress­ort. Wer aber Mindestsic­herung wolle, müsse alles Vermögen offenlegen – und da könne es passieren, dass sich das Sozialamt ins Grundbuch setzt. Konsequenz: Verkauft der Mindestsic­herungsbez­ieher sein Heim oder wird es vererbt, werde der an Mindestsic­herung ausbezahlt­e Betrag zurückgefo­rdert.

Grundsätzl­ich hält man im Sozi- alminister­ium wenig von Strafen, vielmehr wolle man die „positiven Anreize“verstärken. So verfolge man den (schon im Koalitions­pakt angekündig­ten) Plan, dass Mindestsic­herungsbez­ieher nicht sofort die ganze Hilfe verlieren, wenn sie durch Arbeit über die Grenze der rund 830 Euro kommen. Lösen will man das durch eine Reform des „Wiedereins­teigerInne­nfreibetra­gs“. Und die ab 2016 geplante Ausbildung­sgarantie bis 18 solle helfen, Kindern aus Mindestsic­herungsbez­ieherfamil­ien den Weg in den Erwerb zu weisen.

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BILD: SN/PICTURE DESK.COM

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