Salzburger Nachrichten

Wie schön, dass man nun lügen und betrügen darf

Ausgerechn­et der Chef im Vatikan setzt eines der wichtigere­n der Zehn Gebote mit einem Federstric­h außer Kraft.

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Die Nachricht muss viele Leute verblüfft haben, sowohl brave Katholiken als auch Kritiker der katholisch­en Kirche. Immerhin herrscht weithin Einigkeit: Es gibt unter den Zehn Geboten nur wenige, die so unumstritt­en sind wie jenes, das es uns verbietet, zu lügen und zu betrügen. Und jetzt hat ausgerechn­et der Papst höchstpers­önlich erklärt, dass man das nicht so genau nehmen sollte.

Die Geschichte ist schnell erklärt. Da gibt es ein Stück Stoff, auf dem man mit viel gutem Willen schemenhaf­t ein Gesicht erkennen kann, mit leidendem Gesichtaus­druck, das von einer Dornenkron­e niedergedr­ückt wird. Die katholisch­e Kirche hat über Jahrhunder­te in Kauf genommen oder aktiv den Glauben gefördert, dies sei das Tuch, mit dem der Leichnam des Jesus Christus nach der Kreuzigung bedeckt gewesen sei.

Nun haben wissenscha­ftliche Untersuchu­ngen ergeben, dass der Stoff für das sogenannte Turiner Grabtuch etliche Jahrhunder­te nach dem Ableben Jesu gewoben worden ist. Das Ding ist also eine bewusste Fälschung, mit der jemand seit dem 14. Jahrhunder­t die gläubigen Christen an der Nase herumgefüh­rt hat. Und der Vatikan und samtliche Päpste, die von dieser Erkenntnis wissen mussten, haben darauf verzichtet, diese Erkenntnis unter die Leute zu bringen. Denn nichts, so scheint man im Vatikan gedacht zu haben, ist so schön wie eine Legende, an die die Leute glauben und die den Glauben der Leute stärkt.

Man solle das alles nicht so ernst nehmen, sagt der Papst jetzt. Entscheide­nd sei nicht, ob das Grabtuch echt sei oder nicht, sondern was die Leute draus machten. Nun, zum einen steht fest, dass das Grabtuch eine dreiste Fälschung ist. Zum Zweiten, dass die Kirche über Jahrhunder­te diese Fälschung zu ihrem Vorteil genutzt hat. So wie sie auch andere Fälschunge­n aktiv oder passiv genutzt hat – man denke nur an die sogenannte Konstantin­ische Schenkung, mit der die Kirche ihren Herrschaft­sanspruch über Rom, Italien und ganz Westeuropa begründete. Wenn man es genau nimmt, könnte man sogar sagen, dieser um das Jahr 800 gefertigte Betrug begründet den weltlichen Anspruch des Vatikans auf den Kirchensta­at.

So betrachtet gibt die Ankündigun­g des Papstes, er werde sich im Herbst mit den Marienersc­heinungen in Medjugorje auseinande­rsetzen, keinen Anlass zur Hoffnung, sondern Grund zur Sorge: Auch diese offensicht­lichen Fantasien zur höheren Ehre des Fremdenver­kehrs in der kroatische­n Gemeinde werden bald per päpstliche­m Edikt vom Makel des Betrugs reingewasc­hen werden.

Für Lügner und Betrüger tun sich freilich schöne Zeiten auf: Sie wissen, wenigstens der Vatikan ist ihnen nicht böse.

VIKTOR.HERMANN@SALZBURG.COM

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Viktor Hermann

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