„Unglaublich, diese tägliche Hektik“
Gleich sieben Fahrer mussten nach dem Massensturz bei der Tour verletzt aufgeben. Auch Österreichs Meister Marco Haller ging zu Boden und konnte sich nur wundern.
Als Abschiedsbrief schickte Fabian Cancellara ein Röntgenbild von seinen gebrochenen Lendenwirbeln. Für den Träger des Gelben Trikots endete das Kapitel Tour de France in einem belgischen Krankenhaus. „Es waren tolle 24 Stunden, nun kam das Pech zurück. Den einen Tag gewinnst du, den anderen verlierst du. Ich behalte das Positive in Erinnerung“, sagte der 34-jährige Schweizer, dessen Fahrt in Gelb bei seiner letzten Tour nach einem schweren Massensturz auf so bittere Weise zu Ende gegangen war. Im hohen Bogen war Cancellara bei dem fürchterlichen Crash 55 Kilometer vor Huy im Graben gelandet, tapfer quälte sich der Berner mit großem Rückstand ins Ziel. Denn er hatte zwei Brüche im Lendenwirbelbereich erlitten. „Jetzt konzentriere ich mich auf die zweite Saisonhälfte“, sagte der Schweizer enttäuscht. 29 Mal hatte Cancellara in seiner Karriere das begehrte „Maillot Jaune“auf seinen Schultern getragen – so oft wie kein anderer aktiver Fahrer, nun ist die Akte Tour für immer geschlossen.
Cancellara war nicht der Einzige, der nach dem Massensturz aufgeben musste. Insgesamt sieben Fahrer gaben mit teils schweren Verletzungen auf. Der Niederländer Tom Dumoulin aus dem deutschen Giant-Alpecin-Team kugelte sich die Schulter aus und erlitt einen Bruch im Schultergelenk. Schwer traf es auch das australische Team Orica-GreenEdge, das zwei Fahrer verlor. Der frühere Mailand-SanRemo-Gewinner Simon Gerrans (AUS) brach sich das Handgelenk, Daryl Impey (RSA) das Schlüsselbein. Der Franzose William Bonnet, der den Crash gut 55 Kilometer vor dem Ziel ausgelöst hatte, erlitt einen Bruch des zweiten Halswirbels und eine Gehirnerschütterung. Für den Russen Dimitri Kosontschuk war mit Brüchen an Schlüsselbein und Schulterblatt Schluss.
Auch die beiden österreichischen Debütanten Matthias Brändle und Marco Haller waren in den Sturz verwickelt, kamen aber noch mit glimpflichen Verletzungen davon. Brändle sieht Hektik und Stress als Ursache für die zahlreichen Stürze. „Bei anderen Rennen geht es auf den letzten 50 Kilometern zur Sache, aber bei der Tour will jeder vorn sein, da muss man den ganzen Tag konzentriert sein. Irgendwann macht einer einen Fehler“, sagte der Siebte der ersten Etappe. Der Vorarlberger hatte mit seinem Rad einen Überschlag vollführt und erlitt Prellungen.
Haller hatte beim „Abflug mit 75 km/h“eine schwere Verstauchung des rechten Handgelenks erlitten – just vor den von Paris– Roubaix bekannten Rüttelpassagen in Nordfrankreich. „Wir versuchen es mit einem Tape bestmöglich zu stabilisieren“, sagte der Kärntner. Hallers Erkenntnis: „Unglaublich, wie nervös das Rennen bei der Tour ist.“Der Deutsche Tony Martin formulierte es so: „Bei der Tour ist jeder vier bis sieben Meter später auf der Bremse als anderswo. Deswegen die vielen Stürze.“