„Der Glaube versetzt Berge“
In Österreich gibt es etwa 400 Heilquellen. Eine davon ist die Jakob-Lorber-Quelle. Warum holen sich Menschen „heiliges“Wasser und welche gesundheitlichen Beschwerden könnte dies zur Folge haben?
ANDRITZ. Ein junger Mann befüllt eine grüne Glasflasche. Danach sitzt er mit geschlossenen Augen vor dem plätschernden Wasser und meditiert. Es ist still. Nur Vogelgezwitscher ist zu hören. Die Andritzquelle nördlich von Graz ist eine „heilige Quelle“. Menschen pilgern mit Kanistern und Flaschen zu ihrem Ursprung, um sich das Wasser zu holen oder nach Absprache darin zu baden.
Die Andritz-Ursprungsquelle wurde nach dem Musiker und Schriftsteller Jakob Lorber benannt. Als Schreibknecht Gottes verfasste er im 19. Jahrhundert 25 umfangreiche Werke, die er in Graz schrieb. „Diese Begegnungsstätte ist ein besonderer Platz mit besonderem Wasser: Es enthält wenig Mineralien und schwemmt die Gifte aus dem Körper“, erklärt die Verwalterin. Außerdem bleibe es länger kühl und frisch. Das Wasser in Andritz kann nur zu bestimmten Öffnungs- zeiten geschöpft werden, die Quelle befindet sich in Privatbesitz.
Doch wie sieht es in Österreich mit der Qualität von „heiligem“Wasser aus? Ein Forscherteam des Instituts für Hygiene und Angewandte Immunologie der Medizinischen Universität Wien hat eine repräsentative Auswahl an „heiligen“Quellen in Ostösterreich untersucht. „Wir konnten für keine einzige Quelle Trinkwasserqualität bescheinigen, viele waren mit Fäkalbakterien belastet“, erklärt Alexander Kirschner, der Leiter der Studie. „Im Mittelalter, als es noch keine Richtlinien für Trinkwasser gab und die einzige Wasserquelle ein verschmutzter Brunnen oder Fluss war, waren diese Quellen durchaus in Ordnung.“
Diese Gewässer waren abgelegen im Wald, weit weg von Siedlungen, ohne intensiver Landwirtschaft und von bester Trinkwasserqualität. „Menschen begaben sich zu solchen Quellen und wurden spontan von ihren Leiden erlöst. Somit war der ,Beweis‘ erbracht, dass göttliches Wirken diese Heilung herbeigeführt haben musste“, sagt er.
Kirschner erklärt, dass jene Menschen, die Wasser aus diesen Quellen trinken, ein erhöhtes Risiko eingehen, an einer Infektionskrankheit wie Durchfall zu erkranken. Es könne aber durchaus einige Quellen geben, deren Wasser behördlich kontrolliert werde und die in chemischer, mikrobiologischer und baulicher Hinsicht der Trinkwasserverordnung entsprächen.
Die Gründe, warum Menschen das „heilige“Wasser aus der Quelle in Andritz schöpfen, sind verschieden. „Ein paar verwenden es zum Schnapsbrennen“, erzählt die Verwalterin. Außerdem sei es umsonst und viele pilgerten einfach aus Neugierde dorthin. „Andere kommen, weil sie krank sind. Einige wurden nach eigenen Angaben von ihren Krankheiten geheilt. Der Glaube versetzt Berge“, sagt sie.
Kirschner geht davon aus, dass viele Menschen aufgrund der vielen Gefahrensubstanzen und giftigen Stoffe, die sich heutzutage in den Lebensmitteln befinden, verunsichert sind. Deshalb schöpften sie lieber Wasser aus „heiligen“Quellen. „Beschwerden über gesundheitliche Probleme hatten wir noch nie. Das Wasser wird jährlich geprüft“, sagt die Verwalterin der Jakob-Lorber-Quellle. Offiziell deklariertes Trinkwasser ist es jedoch nicht, jeder sei für sich selbst verantwortlich. Die Wasserentnahme erfolgt auf eigene Gefahr.