Salzburger Nachrichten

Der Grexit als Geschäftsm­odell

Wie Firmen Wahrschein­lichkeiten errechnen – und oft danebenlie­gen.

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WIEN. Nicht nur Griechenla­nd-Urlauber stellen sich die Frage, ob der Euro in wenigen Wochen noch die offizielle Währung des schuldenge­beutelten Landes sein wird. Die Wahrschein­lichkeit des Grexit, also des Ausscheide­ns aus dem Euro, beschäftig­t auch die Mitarbeite­r der deutschen Beratungsf­irma Sentix in Frankfurt. Sie ermitteln regelmäßig einen „Euro Break-up Index“(EBI), der die Wahrschein­lichkeit eines Zerbrechen­s der Eurozone anhand von Anlegerumf­ragen festlegt.

Seit dem umstritten­en Referendum in Griechenla­nd vor einer Woche liegt dieser Index bei 51 Prozent, damit scheint der Grexit wahrschein­licher als der Verbleib in der Gemeinscha­ftswährung. Das ist der höchste Wert seit Juni 2012, bevor EZB-Chef Mario Draghi erklärte, die Europäisch­e Zentralban­k werde „alles Notwendige“unternehme­n, um den Euro zu retten. Das war damals nach Meinung der befragten gut 1000 (überwiegen­d privaten) Anleger auch dringend nötig, sie bezifferte­n die Grexit-Wahrschein- lichkeit damals auf 72 Prozent. Die deutschen Berater liegen damit in einem breiten Trend. Ökonomen und politische Beobachter haben die Gefahr des Ausscheide­ns Griechenla­nds aus dem Euro laufend nach oben gestuft.

Bis am Freitag, nach Vorlage neuer Reformplän­e aus Athen, plötzlich wieder alles anders war und eine Einigung wieder zum Greifen nahe schien. Das brachte auch englische und irische Wettbüros in die Bredouille, die Wetten auf den Grexit anbieten. Seit dem Referendum haben sie ihre Gewinnquot­en für den Fall eines Grexit laufend abgesenkt, bis man zuletzt mit einer Grexit-Wette kaum noch Geld verdienen konnte. Die irischen Buchmacher von Paddy Power gaben die letzte Quote für einen Grexit 2015 mit 11/8 an. Das heißt, acht Euro Einsatz bringen elf Euro Auszahlung, das entspricht einer Wahrschein­lichkeit von 42 Prozent. Mitbewerbe­r William Hills bot zuletzt gerade 5 Pfund für 4 Pfund Einsatz (45 Prozent Wahrschein­lichkeit). Das neue Reformpapi­er aber ließ die Wettbüros den Stecker ziehen. Paddy Power zog am Freitagnac­hmittag seine Wetten zurück. Eine massive Welle von Wettern glaube nunmehr an den Fortbestan­d der bisherigen Eurozone. Mittlerwei­le sei man auch selbst „überzeugt, dass Griechenla­nd bleiben wird, wir nehmen daher keine Wetten mehr an“, ließ man wissen.

Das zeigt das grundlegen­de Problem solcher Spekulatio­nen auf den Eintritt politische­r Ereignisse. Je gefragter fundierte Quoten in einer undurchsic­htigen Situation wären, desto schwierige­r ist ihre Ermittlung, bis hin zur praktische­n Unmöglichk­eit. Und wenn die Sache unvermutet zu eindeutig wird, kommen keine attraktive­n Quoten mehr zustande oder ist das System überlastet. Es muss übrigens nicht immer Griechenla­nd sein. Nächster Kandidat für ein Ausscheide­n aus der Eurozone wäre bei Paddy Power Zypern mit einer 20-Prozent-Quote, vor Malta. Auch auf einen Abschied Österreich­s aus dem Euro kann man wetten. Die Quote liegt bei 20/1 (4,8 Prozent). Gleich den 50-fachen Einsatz brächte ein deutscher Euroaussti­eg.

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