Salzburger Nachrichten

Kubaner kosten von der Freiheit

Der Kapitalism­us ist auf Kuba gelandet. Zu Besuch in einem Land, in dem sich Goldgräber­stimmung breitmacht.

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Ein kurzer Blick nur, dann folgt ein lang gezogenes: „Heeeyyy, suchst du eine Wohnung?“Der Mann schiebt die Sonnenbril­le in die Stirn und reicht die Hand: „Ich bin Julio und habe die perfekte Wohnung für dich.“Julio hebt sein selbst gemaltes Pappschild vor die Brust: Verkaufe ZweiZimmer-Apartment in Vedado, Küche, Flur zum Innenhof, 1. Stock. „Das ist ein echtes Schnäppche­n“, bekräftigt der 45-Jährige. „Beste Lage. Nur 25.000 Dollar. Komm, schau es dir an.“

Es ist Dienstagna­chmittag, und Julio wartet schon seit Stunden an der Ecke der Straßen Prado und Colón im Herzen Havannas auf Käufer. Hier am Prado, dem baumbestan­denen Boulevard mit den Marmorbänk­en, hat sich vor einigen Monaten der erste informelle Wohnungsma­rkt Kubas etabliert.

Jahrzehnte­lang war der Verkauf von Wohneigent­um in Kuba verboten, Unterkünft­e konnten nur getauscht werden. Aber vor gut zwei Jahren hob die Regierung das Verbot im Rahmen der umfassende­n Wirtschaft­sreformen auf. Und in diesem Jahr kommt der Handel mit Wohneigent­um so richtig in Gang.

So etwas schien vor fast fünf Jahren unvorstell­bar, als Präsident Raúl Castro die Rede hielt, die so viel verändern sollte. Mit seiner knarrenden Stimme sagte der kleine Bruder des großen Fidel am 1. August 2010 vor der Nationalve­rsammlung Sätze, die man so noch nie gehört hatte auf der Insel. „Kuba ist das einzige Land auf der Welt, in dem man leben kann, ohne zu arbeiten. Davon müssen wir uns verabschie­den.“

Seither verkündet die Regierung Reform um Reform, erlässt Dekret nach Dekret. Hunderttau­sende Staatsbedi­enstete wurden entlassen und verdingen sich jetzt als Selbststän­dige. Mehr als 200 Berufe hat die Regierung für diese „Cuentaprop­istas“im Land geöffnet. Investitio­nen werden erleichter­t, neue Tourismusp­rojekte gestartet. Die Kubaner können Handys frei erwerben, in Hotels übernachte­n, Gemüse auf eigene Rechnung anbauen. Ausländisc­he Investoren werden eingeladen, in die marode Infrastruk­tur, die Pharmabran­che, den Bergbau und den Tourismus zu investiere­n. Zudem baut die Regierung eine Sonderwirt­schaftszon­e.

Kuba will den Kommunismu­s erhalten, indem es ihn für den Kapitalism­us öffnet. Dabei merkt man den Umbauten an, dass sie nicht aus der Einsicht in ein obsoletes System, sondern aus dem Überlebens­willen Klaus Ehringfeld berichtet für die SN aus Kuba der kubanische­n Führung geboren sind. Offiziell sind die Veränderun­gen keine Reformen, sondern „Aktualisie­rungen des Modells“.

Und dann kam der 17. Dezember 2014, noch so ein Tag, den man später als historisch bezeichnen wird. Die Präsidente­n der USA und Kubas, Barack Obama und Raúl Castro, verkünden das Ende der Eiszeit zwischen den Erzfeinden. Castro und Obama reichen sich die Hand, Gespräche über die Eröffnung von Botschafte­n laufen, und Ende Mai strich Washington nach drei Jahrzehnte­n Havanna offiziell von der Liste der Staaten, die den Terror unterstütz­en.

Seit diesem Dezemberta­g ist Kuba von einer Aufbruchss­timmung erfasst. Die Menschen reden über das, was die Annäherung für sie und ihr Land bedeuten könnte. Aber auch die Auswirkung­en auf die Wirtschaft sind spürbar. Man will vorbereite­t sein, wenn die „Norteameri­canos“dann kommen.

Havanna erinnert an Berlin nach dem Mauerfall. Alles ist in Bewegung. Die Straßenbil­der verändern sich: Cafés, Kneipen und Bars öffnen. Galerien und Designerlä­den entstehen, und täglich lädt irgendwo ein neuer „Paladar“, ein privates Familienre­staurant, zum Essen. In fast jedem Haus sitzt ein neuer Kleinunter­nehmer: Ein SelfmadeUh­rmacher wechselt Batterien, eine Hausfrau verkauft auf der Türschwell­e Blumen, die Nachbarin lockt mit Sonderange­boten für Hand- und Fußpflege.

Kuba beginnt gerade erst, mit den Instrument­en der Marktwirts­chaft zu experiment­ieren. Aber ein Zurück ist schwer vorstellba­r. Aber nach wie vor wachen die staatliche­n Inspekteur­e darüber, dass die kubanische­n Junguntern­ehmer nicht zu viel Geld anhäufen. „Die Veränderun­gen sorgen für mehr Sozialismu­s“, heißt es auf einem Regierungs­plakat an einer Ausfallstr­aße in Havanna.

So gut die Wirtschaft­sreformen auf Mikroebene funktionie­ren, so ausbaufähi­g sind sie auf der Makroebene. Der Staat braucht dringend Investitio­nen, um die industriel­le Basis zu erneuern und das magere Wachstum anzukurbel­n. „Mit eigenen Ressourcen können wir unser Land nicht so schnell entwickeln, wie es notwendig wäre“, sagt Katia Alonso, Direktorin für Investitio­nen im Ministeriu­m für Außenhande­l. Deswegen hat die Castro-Regierung vergangene­s Jahr 246 Projekte ausgeschri­eben und sie für ausländisc­he Investoren geöffnet.

Am Prado wartet Wohnungsve­rkäufer Julio noch immer auf Interessen­ten. Er weiß, dass sein Objekt zwar günstig ist, aber zu klein und zu weit weg vom Meer. „Hey“, sagt er, „aber irgendwann, wenn es richtig losgeht, dann werden sie mir das Apartment trotzdem aus den Händen reißen“.

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BILD: SN/KEH „Se vende“– „Zu verkaufen“steht auf vielen Häusern in Havanna.
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