Ein Stupser Was
Motivieren statt regulieren? Oder Manipulation? Wie Politik zu sozial erwünschtem Verhalten „anstoßen“kann.
Ein Zauberwort in der Verhaltensforschung heißt Nudging. Es bedeutet, jemanden in die „richtige“Richtung zu stupsen (to nudge). An solchen Anreizen findet auch die Politik Gefallen. Die Frage lautet: Wie kann man erwünschtes Verhalten ohne Gesetze erreichen? Auch Österreich will seine Bürger in die richtige Richtung stupsen. Staatliche Bevormundung? Entmündigung? Manipulation? Nein, sagt Wirtschaftspsychologe Erich Kirchler von der Universität Wien – und erklärt, warum er Nudging für sinnvoll hält. Und wo Grenzen überschritten werden. SN: Was definieren Sie Nudging? Kirchler: Nudging ist eine Form der Verhaltensregulation. Es ist das Gegenteil von Gesetzen und Zwang, lenkt das Verhalten in eine bestimmte Richtung, lässt aber immer Wahlmöglichkeiten zu. SN: Kritiker sagen, durch Nudging würden Menschen gelenkt wie eine Schafherde. Die Kritik, dass Menschen gelenkt werden, trifft doch auf alles zu. Wenn ich die Zeitung lese, werde ich gelenkt, wenn ich im Regal im Supermarkt Produkte auf einer bestimmten Höhe sehe ebenso. Es findet immer Lenkung statt. Die Frage ist, ob man sich bewusst macht, wie man gelenkt wird, und sich überlegt, wie bestimmte Anordnungen von Wahlmöglichkeiten dazu führen können, dass Menschen das tun, was besser für sie und die Gesellschaft ist. Beispiel: Wenn Sie auf dem Buffet in der Mensa Gemüse und Salate nach vorn stellen und weniger gesundes Essen weiter nach hinten, essen mehr Menschen die gesünderen Speisen. Es bleibt aber immer die Option, das weiter weg liegende zu nehmen. SN: Wo wird Stupsen zur Manipulation? Politik macht Gesetze. Das ist die stärkste Form der Lenkung. Aber die Frage ist, ob Gesetze immer notwendig sind. Und wenn sie nicht notwendig sind, ob es nicht trotzdem eine Regulation des Verhaltens gibt, die zum Besseren des Einzelnen und der Gesellschaft ist. Man kann natürlich manipulierend wirken, indem man Unwissenheit, Zeit- oder Motivationsmangel für eigene Geschäfte ausnutzt: Stichwort Werbung. Das ist aber nicht das Ziel. Das Ziel ist: Wenn Energie gespart werden soll, kann es sinnvoll sein zu informieren, dass viele Menschen weniger Strom verbrauchen als man selbst. Natürlich kann das auch den Effekt haben, dass sich die Niedrigverbraucher dem Durchschnitt anpassen. Daher muss die Wirkung von Nudging evaluiert werden. Aber Tatsache ist: Wir orientieren uns an sozialen Normen. Wenn ich informiert werde, dass 90 Prozent ihre Steuern pünktlich zahlen, hat das einen anderen Effekt, als wenn ich sage, zehn Prozent zahlen sie nicht pünktlich. Die Art der Präsentation von Informationen beeinflusst unser Verhalten. SN: Dennoch geht man davon aus, dass der Staat weiß, was richtig und was falsch ist. Sind die Bürger nicht in der Lage, verantwortungsvolle Entscheidungen zu treffen? Der Staat sagt ja nicht, was richtig und falsch ist. Er gibt eine Empfehlung. Richtig und falsch ist durch Gesetze ausgedrückt, die paternalistisch sind. Nudging hingegen ist libertärer Paternalismus. Beispiel Organspenden: In Österreich ist man „per Voreinstellung“Organspender. Will man das nicht, muss man sich aktiv dagegen aussprechen. In Deutschland ist es umge-
„Das wirkt und tut keinem weh.“
kehrt. Wo gibt es mehr Organspenden? In Österreich natürlich – auch wenn möglicherweise die Einstellung der Leute zum Organspenden die gleiche ist. Es gibt viele Bereiche, wo es kein Gesetz braucht, aber Verhalten gesteuert werden kann. Ich brauche kein Gesetz, damit ein Handtuch in einem Hotel zwei Mal benutzt wird. Aber ich kann Leute dazu bringen, sich bewusst zu werden, dass sie es nochmals verwenden sollten. Das wirkt und tut keinem weh. Das ist das Wichtige. SN: Entspräche es nicht eher unserem Demokratieverständnis, die Menschen gut zu informieren, statt sie anzustupsen? Es ist doch deprimierend, wenn es gemalte Spuren zum Mülleimer wie in Dänemark braucht, damit die Leute weniger Mist auf die Straße schmeißen. Ja, aber schauen Sie sich den Alltag an: Wie viele Leute sagen, sie möchten gesünder leben, mehr Sport betreiben, mit dem Rauchen aufhören? Alle haben wir Vorsätze. Und wie viele realisieren wir? Natürlich können Sie von einem Menschenbild ausgehen, wonach alle wissen, was das Beste ist. Sie können auch als Gesundheitspolitiker davon ausgehen, dass jeder gesund ist. Aber sind dann alle gesund? Die Kritik, Nudging = Manipulation und basierend auf einem Menschenbild von verkümmerten Entscheidungsträgern, greift zu kurz. Die Annahme, dass wir alle rational denkende Nutzenmaximierer sind, ist längst empirisch so hinterfragt, dass sie nicht aufrechterhalten werden kann. Das ist keine Beleidigung für uns Menschen, sondern man geht nach empirischen Erkenntnissen auf unsere Entscheidungsschwächen ein. SN: Nudging-Verfechter betonten stets den freien Willen. Wann ist da die Grenze zum Inakzeptablen überschritten? Nudging ist da nicht mehr akzeptabel, wo es intransparent wird. Und wo die als die vorgeschlagene andere Option, die ich bewusst wählen möchte, gar nicht mehr da ist oder ich sie mit viel Aufwand suchen muss. Nudging ist, wenn das Bessere näher liegt. SN: Aber besteht der freie Wille nicht auch darin, manchmal über die Stränge zu schlagen? Ja sicher! Sie können immer am Buffet das Schnitzel nehmen. Sie müssen dann nur etwas weiter greifen. SN: Wo wäre Nudging in Österreich sinnvoll? Bei der Steuermoral etwa. Man hat etwa festgestellt, dass Leute ehrli- cher sind, wenn sie Formulare schon zu Beginn unterschreiben und nicht erst am Schluss. Da ist das Ganze gleich verbindlicher. Man könnte auch überlegen ob man Vorauszahlungen, die nicht in genauer Höhe berechenbar sind, nicht zu niedrig ansetzt. Denn man weiß, wenn am Ende bei der Steuererklärung ein Guthaben entsteht, ist man ehrlicher, als wenn nachzuzahlen ist. Aber diese Form des Nudging übt schon einigen Druck aus. Bei den Pilotprojekten gehört jedenfalls geschaut, was wirksam ist – und ob die Projekte ausgeweitet werden sollen oder ob man sie wieder zurücknehmen muss. SN: Sie als Nudging-Fan fürchten sich also nicht vor mehr staatlicher Bevormundung? Jedenfalls wesentlich weniger vor noch mehr Gesetzen.
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