Traum oder Tristesse?
Mehr als 100.000 Jugendliche jobben im Sommer. Für manche ist das eine Karrierechance, für andere ein schlecht bezahlter Aushilfsjob.
SALZBURG. Seit fast einem Monat sitzt die 17-jährige Schülerin einer Hotelfachschule in einem großen Gastronomiebetrieb im Kellergeschoß und tut vor allem eines: Eiklar von Eidotter trennen. Auch einer anderen Praktikantin geht es nicht besser, sie sammelt Spenden etwa für Tierschutzorganisationen. Spenden keilen von 9.45 Uhr bis 19 Uhr bedeutet das für die 17-Jährige, danach gibt es verpflichtende Schulungen bis 22, manchmal auch 23 Uhr. Der Verdienst ist bisher ungewiss, bezahlt wird nach Erfolg.
Das sind nur zwei der Fälle, die in den vergangenen Tagen bei Josef Leitner in der Wiener Arbeiterkammer landeten. „Mit Ausbildung hat das nichts zu tun“, kritisiert Leitner. Freilich handle es sich um Extrembeispiele, räumt er ein, es zeige aber eines klar: Das System von Praktika und Ferialjobs funktioniere nicht.
Für mehr als 100.000 Schüler und Schülerinnen bringt der Sommer neben Freibad und Urlaubsvergnügen auch eines: arbeiten. Sei es, um Geld zu verdienen, freiwillig erstmals in die Arbeitswelt hineinzuschnuppern oder ein im Rahmen der Schulausbildung vorgeschriebenes Praktikum. Dazu kommen noch Studenten, die ihr Budget aufbessern oder ihrem Traumjob näher kommen wollen.
Wie ihre ersten Erfahrungen in der Berufswelt seien, das unter- scheide sich gewaltig, sagt Leitner: Von „guten Erfahrungen bei angemessenem Lohn“bis zu „gar nichts gelernt und nichts verdient“reiche die Bandbreite.
Auch was Unternehmen von Ferialkräften erwarten, unterscheidet sich grundlegend. 1500 Ferialpraktikanten beschäftigt die Post über den Sommer, vor allem in der Briefzustellung. Der Grund ist einfach. „Wenn unsere Mitarbeiter im Sommer auf Urlaub gehen wollen, kommen wir anders nicht über die Runden“, sagt Pressesprecherin Kathrin Schrammel. Die Jobs sind begehrt, bringen sie doch mindestens 1000 Euro Bruttolohn im Monat. Wer mehrere Sommer kommt, erhält einen „Rückkehrerbonus“extra, da die Einschulung wegfällt.
Andere Gründe nennt die Salzburg AG dafür, dass man jeden Sommer rund 100 Ferialpraktikanten anstellt. „Wir wollen den jungen Leuten eine Chance geben, aber auch ganz eigennützig die besten Talente entdecken und letztlich für uns gewinnen, ob im technischen oder im kaufmännischen Bereich“, sagt Vorstand Leonhard Schitter. Das Interesse ist auch hier riesig, zuletzt gab es stets zwischen 300 und 400 Bewerbungen. Genommen werden HTL-Schüler ebenso wie Studenten von Fachhochschulen und Universitäten. Bezahlt werde je nach Qualifikation und Alter zwischen 785 und 1355 Euro brutto.
„Fakt ist, dass die Angebote, die gute Ausbildung bei angemessener Bezahlung bieten, immer weniger werden“, meint AK-Experte Leitner. Und die Nachfrage vonseiten der Jugendlichen werde immer größer, denn neben berufsbildenden Schulen verlangen immer öfter auch HTL und HAK Pflichtpraktika. Von der Idee her sei das zu begrüßen, allerdings nur, wenn auch die Umsetzung funktioniere, sagt Leitner. „Das ist auch ein soziales Problem, die guten Plätze bekommen meist nur die, deren Eltern gute Beziehungen haben.“
Die rechtliche Situation ist komplex. Grundsätzlich gilt, ein „Ferialjob“– etwa als Ersatz für urlaubende Mitarbeiter – ist ein befristetes Dienstverhältnis, das laut Kollektivvertrag bezahlt werden muss. Steht die Ausbildung im Vordergrund, gilt das als Volontariat, ist es von der Schule vorgeschrieben, spricht man von Praktikum, ein Dienstverhältnis ist das nicht immer. Zwar gibt es in einigen Branchen wie dem Tourismus hier schon Regelungen über die Bezahlung, die sich oft an der Lehrlingsentschädigung orientieren, ansonsten aber gibt es keinen Lohnanspruch, dafür aber auch keine Arbeitsverpflichtung. Theoretisch könne, wer Praktikanten wie reguläre Dienstnehmer beschäftige, aber nicht entlohne, verurteilt werden, betont Leitner. Die AK habe etwa einen Prozess gegen ein Telekomunternehmen gewonnen, dessen Ausbildung darin bestand, dass der Praktikant drei Wochen Heftklammern entfernte. Letztlich musste ihm dafür das Gehalt eines Hilfsarbeiters nachgezahlt werden.
„Zu Prozessen kommt es aber so gut wie nie, kein junger Mensch will seinen beruflichen Werdegang mit einem Gerichtsstreit beginnen und meist sind auch die Eltern dagegen“, erklärt Leitner. Die Arbeiterkammer fordert für alle eine Absicherung über ein Dienstverhältnis samt angemessenem Gehalt, „das müssen ja nicht 1000 Euro schon für Schüler sein“. Auch die Ausbildung sollte nachvollziehbar sein. „Angesichts der derzeitigen Arbeitsmarktsituation ist das aber wohl schwer durchzubringen.“
Wie groß die Unzufriedenheit ist, zeigt auch die vor einem Jahr online gestellte watchlist-praktikum.at der Gewerkschaft der Privatangestellten (GPA). „Wer als Praktikant beschäftigt ist, dabei aber regulär arbeiten muss, kann sich hier melden. 100.000 Zugriffe zählte man seither, 300 Betriebe wurden an die Gebietskrankenkasse gemeldet, um die arbeitsrechtliche Situation zu prüfen“, sagt GPA-Expertin Veronika Kronberger. „Allein eine Tourismus-Agentur musste gleich sieben ehemalige Praktikantinnen rückwirkend anstellen.“Wie viele Jugendliche betroffen seien, zeigten Umfragen: 60 Prozent der über 16jährigen Schüler gaben dabei an, bereits gearbeitet zu haben. Bei den Studenten waren es 86 Prozent.