Eine Lektion in Sachen Kapitalismus für Deng Xiaopings Erben
Die Chinesen haben rasch gelernt, dass Kapitalismus viel Segen bringen kann. Jetzt lernen sie auch seine Schattenseiten kennen.
Ein Crash an der Börse, Hunderttausende Kleinanleger, die nicht nur mit leeren Händen, sondern mit hohen Schulden dastehen, weil sie Aktien auf Pump gekauft haben. Und als Draufgabe Ermittlungen wegen des Verdachts auf Insiderhandel bei Leerverkäufen – das kennen wir von der Wall Street oder anderen westlichen Börsenplätzen. Doch diese Geschichte spielt in Schanghai, Shenzhen und Hongkong.
Verzweifelte Chinesen, die fassungslos auf Computerbildschirme oder elektronische Anzeigetafeln starren und nicht glauben können, was sie sehen. Solche Bilder gingen dieser Tage um die Welt, seit die Börsen in China abgestürzt sind und die Kurse in den Keller fielen.
Wie konnte das passieren, im Zentrum des Kommunismus? Da muss man kurz in die Geschichte eintauchen. Die jüngere wirtschaftliche Entwicklung Chinas geht auf einen Mann zurück, Deng Xiaoping. Während sein Vorgänger Mao Zedong vom großen Sprung träumte, der China nach vorn bringen sollte, aber eher in die Vergangenheit zurückwarf, war Deng der Reformer, der den Chinesen den Weg zu wirt- schaftlichem Aufstieg ebnete. Er wich politisch keinen Millimeter von der reinen kommunistischen Lehre ab, aber er hatte kein Problem, Chinas Staatswirtschaft mithilfe des Kapitalismus auf die Überholspur zu bringen. Dengs Strategie war, das Volk am steigenden Wohlstand teilhaben zu lassen und es so ruhig und politisch willfährig zu halten.
Seine politischen Enkel führten diesen Kurs fort und haben in den vergangenen Jahren dabei massiv auf den Kapitalmarkt gesetzt. Die Chinesen sollten von biederen Sparern zu wagemutigen Aktionären werden, sollten den Unternehmen das Geld leihen, das die für ihren Siegeszug in der westlichen Welt brauchen. In Europa und den USA tritt China freundlich und als willkommener Geldgeber bei den ersten Unternehmensadressen auf. In Afrika ist man weniger zurückhaltend. Wenn es um die Bodenschätze des Schwarzen Kontinents geht, stehen Chinas Wirtschaftsimperialisten ihren westlichen Konkurrenten um nichts nach.
Die Chinesen haben rasch gelernt, welche Möglichkeiten der Kapitalismus eröffnet. Der Aktienkauf auf Pump war ein Aspekt, der vielen nun zum Verhängnis wird. Die Rechnung, den Kredit mit den Spekulationsgewinnen zu bezahlen und dennoch ein hübsches Sümmchen zu verdienen, geht nun nicht mehr auf.
Da sitzen sie nun, die Erben von Deng Xiaoping und können ihr Unglück nicht fassen. Ihr kleiner Reichtum – innerhalb kürzester Zeit verpufft. Nun setzt das offizielle China große Anteilseigner unter Druck und zwingt sie, keine Aktien zu verkaufen, um ein weiteres Abrutschen der Kurse zu verhindern. Man sieht: Der Kapitalismus chinesischer Prägung scheut vor blitzartigen Eingriffen des Staates nicht zurück. Aber vielleicht ahmt China auch da nur nach, was es im Westen beobachtet hat, etwa im Gefolge der Finanzkrise. Deng Xiaoping hätte jedenfalls Gefallen am Pragmatismus seiner Nachfolger gefunden, schließlich fasste der Pragmatiker der Macht sein politisches Credo so zusammen: „Egal, ob die Katze schwarz oder weiß ist, Hauptsache sie fängt Mäuse.“