Salzburger Nachrichten

Held auf dem Rad

- Alexander Purger

ICHbin, in aller Bescheiden­heit gesagt, ein Held. Zehn Monate nach einem Radunfall der Stärke neun auf der nach oben offenen Knochenric­hter-Skala bin ich unlängst erstmals wieder auf dem Rad gesessen. Es war eine kleine Kurbelei für die Menschheit, aber eine große für mich.

Dem ersten Pedaltritt waren monatelang­e, reifliche Überlegung­en vorangegan­gen. Wie ich als begeistert­er Zuseher von Skiübertra­gungen weiß (Fernsehen bildet!), kann man Stürze innerlich nur überwinden, indem man möglichst bald wieder die Piste befährt, auf der man gestürzt ist.

Dies wissend, hatte ich mir schon im Spital vorgenomme­n, sofort nach der Entlassung wieder diese böse Straße mit den gemeinen, Radfahrer fressenden Straßenbah­nschienen entlangzur­adeln. Aber leider.

Erst kam der Winter, da konnte ich witterungs­bedingt nicht fahren. Dann kam das Frühjahr, da musste das Fahrrad zur Reparatur. Dann kam der Frühsommer, doch jedes Mal, wenn ich mir mutig dachte, heute ist es so weit, sah ich irgendwo am Horizont ein winziges Wölkchen und verschob die Ausfahrt lieber wieder. Nicht, dass Sie denken, mir hätte es an Mut gefehlt. Keineswegs. Ich bin ja, wie eingangs erwähnt, ein Held. Aber im Regen radeln, noch dazu, wo ich damals auf feuchten Schienen ausgerutsc­ht bin, das macht einfach keinen Spaß.

Dann kam ein Tag, an dem ich selbst bei eingehende­r Prüfung des Morgenhimm­els nicht das allerklein­ste Wölkchen entdecken konnte. Also nichts wie los. Doch nein, halt. Im Wetterberi­cht war plötzlich von labilen Luftmassen über den Azoren die Rede. Wo sind die überhaupt? Keine Ahnung. Aber jedenfalls ist das kein Radfahrwet­ter

Unlängst aber half alles nichts. 30 Grad, strahlend blauer Himmel, sogar über den Azoren. Ich fand bei bestem Willen keine Ausrede mehr, schob das Rad aus der Garage und fuhr los. Nach fünf Minuten (früher hatte ich zwei gebraucht) kam ich zu der gewissen Stelle. Im forschen Tempo von drei Stundenkil­ometern querte ich die Schienen. Nachher musste ich kurz stehen bleiben.

Seither fahre ich wieder regelmäßig mit dem Rad. Wenn Sie demnächst einen Hundertjäh­rigen sehen, der noch rüstig in die Pedale tritt: Das bin ich.

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