Reisen in geheimer Mission
Der griechischen Mentalität widmet eine Schweizer Literaturdebütantin ihren ersten Roman.
Die Ich-Erzählerin ist eine gute Haut. Sie kann nicht zusehen, wie es mit der Betreiberin einer chemischen Reinigung bergab geht. Sie fühlt sich verantwortlich für sie, so wie eine griechische Schicksalsgöttin zuständig ist für Wohl und Wehe einer Person. „Die junge Frau macht ihre Arbeit schlecht“, lang wird sie den Betrieb nicht aufrechterhalten können. Sie vermasselt Kleidungstücke, unhöflich ist sie obendrein. Ihr Schicksal ist besiegelt.
Schicksal, welch großes Wort! Die Schweizer Schriftstellerin Dagny Gioulami ( geboren 1970 in Bern) erzählt eine Geschichte aus dem Hier und Jetzt und bindet sie zurück an die Zeit der griechischen Mythologie, als Mächte von außen noch Kraft gewannen über die Menschen. Die Geschichte von der Königstochter, die vom Unglück verfolgt Kontakt aufnahm zu ihrer Schicksalsfrau aus dem Kreise der Moiren, um das Blatt zu wenden, gibt das Motiv ab, an dem sich die Gegenwartsgeschichte entlangarbeitet. Jetzt allerdings, da der Kraftbann der höheren Wesen gebrochen ist, muss die Erzählerin selbst kräftig nachhelfen, um etwas Gutes herauszuholen und gegen den Willen und das Wissen der jungen Frau aktiv werden. Das bringt einen ironischen Ton in den Roman. Die moderne Schicksalsgöttin ist im Auto unterwegs in Begleitung eines tätowierten Polizisten. Sie ist sich ihrer Sache sicher: „Ich habe den Schlüssel zu ihrem Schicksal in der Hand.“
Die Geschäftsfrau erweist sich als überaus ungeschickt. Zur Hochzeit ihrer Schwester soll sie ein in der Familientradition wichtiges Kleid anziehen, leider hat sie es ruiniert. Also liegt es an der Erzählerin, Rettung zu bringen. Sie besorgt den Stoff, aus dem ihre Tante Irini ein täuschend ähnliches Exemplar schneidern soll. Das macht eine Reise nach Griechen- land erforderlich, die – zweites GriechenMotiv! – unverzüglich zu einer Odyssee ausartet. Auch die Anlage des knappen Romans entspricht der großen literarischen Vorlage, zumal sich bis zum Ende Abenteuer und Geschichten anhäufen, die den Schwierigkeitsgrad des Hilfsprojekts beweisen.
Der Roman, so fantastisch und witzig ausgedacht er auch wirken mag, bleibt doch auf dem Boden der Alltagswirklichkeit. In Griechenland macht sich die Krise bemerkbar, Zeichen der Verarmung sind sichtbar. „Die Menschen sind klug, sie werden sich zu helfen wissen“, denkt der Polizist, um sich der Hoffnung nicht zu verschließen. In der Begegnung mit den Verwandten der Erzählerin kommen die überkommenen, autoritär geprägten familiären Strukturen auf. Der Spielraum des Einzelnen ist gering, weil er sich den Beschlüssen der Älteren zu fügen hat. Nur Flucht ins Ausland rettet vor der restlosen Preisgabe des Ich.
Das Debüt der in Zürich lebenden Autorin Dagny Gioulami erweist sich als ein geschichtensüchtiges Gebilde, das uns über das Erzählen die griechische Mentalität näherbringt. Mit der reinen Vernunft, die in Deutschland so hoch im Kurs steht, kommen wir nicht durch. Ein Buch, das unterhaltsam geschrieben ist und aus dem wir etwas lernen können. Das ist mehr, als man von einer neu auftauchenden Schriftstellerin erwarten darf.