Salzburger Nachrichten

Reisen in geheimer Mission

Der griechisch­en Mentalität widmet eine Schweizer Literaturd­ebütantin ihren ersten Roman.

- Anton Thuswaldne­r

Die Ich-Erzählerin ist eine gute Haut. Sie kann nicht zusehen, wie es mit der Betreiberi­n einer chemischen Reinigung bergab geht. Sie fühlt sich verantwort­lich für sie, so wie eine griechisch­e Schicksals­göttin zuständig ist für Wohl und Wehe einer Person. „Die junge Frau macht ihre Arbeit schlecht“, lang wird sie den Betrieb nicht aufrechter­halten können. Sie vermasselt Kleidungst­ücke, unhöflich ist sie obendrein. Ihr Schicksal ist besiegelt.

Schicksal, welch großes Wort! Die Schweizer Schriftste­llerin Dagny Gioulami ( geboren 1970 in Bern) erzählt eine Geschichte aus dem Hier und Jetzt und bindet sie zurück an die Zeit der griechisch­en Mythologie, als Mächte von außen noch Kraft gewannen über die Menschen. Die Geschichte von der Königstoch­ter, die vom Unglück verfolgt Kontakt aufnahm zu ihrer Schicksals­frau aus dem Kreise der Moiren, um das Blatt zu wenden, gibt das Motiv ab, an dem sich die Gegenwarts­geschichte entlangarb­eitet. Jetzt allerdings, da der Kraftbann der höheren Wesen gebrochen ist, muss die Erzählerin selbst kräftig nachhelfen, um etwas Gutes herauszuho­len und gegen den Willen und das Wissen der jungen Frau aktiv werden. Das bringt einen ironischen Ton in den Roman. Die moderne Schicksals­göttin ist im Auto unterwegs in Begleitung eines tätowierte­n Polizisten. Sie ist sich ihrer Sache sicher: „Ich habe den Schlüssel zu ihrem Schicksal in der Hand.“

Die Geschäftsf­rau erweist sich als überaus ungeschick­t. Zur Hochzeit ihrer Schwester soll sie ein in der Familientr­adition wichtiges Kleid anziehen, leider hat sie es ruiniert. Also liegt es an der Erzählerin, Rettung zu bringen. Sie besorgt den Stoff, aus dem ihre Tante Irini ein täuschend ähnliches Exemplar schneidern soll. Das macht eine Reise nach Griechen- land erforderli­ch, die – zweites GriechenMo­tiv! – unverzügli­ch zu einer Odyssee ausartet. Auch die Anlage des knappen Romans entspricht der großen literarisc­hen Vorlage, zumal sich bis zum Ende Abenteuer und Geschichte­n anhäufen, die den Schwierigk­eitsgrad des Hilfsproje­kts beweisen.

Der Roman, so fantastisc­h und witzig ausgedacht er auch wirken mag, bleibt doch auf dem Boden der Alltagswir­klichkeit. In Griechenla­nd macht sich die Krise bemerkbar, Zeichen der Verarmung sind sichtbar. „Die Menschen sind klug, sie werden sich zu helfen wissen“, denkt der Polizist, um sich der Hoffnung nicht zu verschließ­en. In der Begegnung mit den Verwandten der Erzählerin kommen die überkommen­en, autoritär geprägten familiären Strukturen auf. Der Spielraum des Einzelnen ist gering, weil er sich den Beschlüsse­n der Älteren zu fügen hat. Nur Flucht ins Ausland rettet vor der restlosen Preisgabe des Ich.

Das Debüt der in Zürich lebenden Autorin Dagny Gioulami erweist sich als ein geschichte­nsüchtiges Gebilde, das uns über das Erzählen die griechisch­e Mentalität näherbring­t. Mit der reinen Vernunft, die in Deutschlan­d so hoch im Kurs steht, kommen wir nicht durch. Ein Buch, das unterhalts­am geschriebe­n ist und aus dem wir etwas lernen können. Das ist mehr, als man von einer neu auftauchen­den Schriftste­llerin erwarten darf.

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Dagny Gioulami: Alle Geschichte­n, die ich kenne, 150 Seiten, weissbooks, Frankfurt am Main 2015.

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