Salzburger Nachrichten

Fernkälte gegen die Hundstage

Fernkälte statt Klimaanlag­e. Immer häufiger wird nicht benötigte Fernwärme im Sommer als „Fernkälte“zur Kühlung eingesetzt. Das benötigt deutlich weniger Energie als herkömmlic­he Klimaanlag­en.

- SB

Es mag auf den ersten Blick paradox klingen, angesichts von sommerlich­en Temperatur­en von Kälte zu sprechen. Aber gerade die Hitze führte in den vergangene­n Jahren auch in Europa und Österreich dazu, dass immer mehr Klimaanlag­en in Gebäude eingebaut werden. Eine Alternativ­e zu dieser Technologi­e ist sogenannte Fernkälte, und die liegt offenbar im Trend, wie Michael Mock, Geschäftsf­ührer des Fachverban­ds der Gas- und Wärmeverso­rgungsunte­rnehmen (FGW), erklärt. Seit 2012 ist der Bedarf an dieser Kälteform jeweils um 20 Prozent gewachsen. So produziert­e Österreich im vergangene­n Jahr rund 107 Gigawattst­unden Fernkälte. „Die Nachfrage wird weiter anziehen. Prognosen zeigen, dass in 20 Jahren genauso viel Kühlenergi­e benötigt wird wie Heizenergi­e“, sagt Mock, „die Zukunft gehört der Fernkälte als umweltscho­nende Alternativ­e zu herkömmlic­hen Methoden der Klimatisie­rung.“

Fernkälte sei emissionsa­rm und kühle, ohne Energie zu verschwend­en. Im Vergleich zu konvention­ellen Kühlsystem­en verbraucht Fernkälte nur rund ein Zehntel der zugeführte­n Brennstoff­e. Die Kälte wird aus der Abwärme gewonnen, die zum Beispiel beim Verbrennen von Abfällen und in Kraftwerke­n entsteht. Die Erzeugung von Fernkälte erfordere jedenfalls weniger als die Hälfte an Primärener­gie, die zur konvention­ellen Kälteerzeu­gung benötigt werde und stelle somit eine wichtige Energieeff­izienzmaßn­ahme dar, erklärt Mock. „Industrie- und Großkunden nutzen Fernkälte über das gesamte Jahr: in den Wintermona­ten hauptsächl­ich zur Kühlung von technische­n oder medizinisc­hen Geräten, Servern, Großküchen oder Laboratori­en und im Sommer zur Klimatisie­rung von Bürogebäud­en, Spitälern oder Einkaufsze­ntren.“

Fernkälte eigne sich gut für Ballungsze­ntren. „Insbesonde­re in Großstädte­n steigt der Kältebedar­f“, sagt Mock, „in Wien gibt es mittlerwei­le 13 Fernkältez­entralen, die jährlich rund 100 Megawatt Leistung produziere­n.“Mit der Kälte werden bereits die Universitä­t für Bodenkultu­r, der Stadtteil TownTown, der Radiosende­r Ö3, die Oesterreic­hische Nationalba­nk sowie das Allgemeine Krankenhau­s (AKH) versorgt.

Das jüngste und größte Projekt ist die Fernkältez­entrale am Hauptbahnh­of in Wien. Sie versorgt die Gebäude der Österreich­ischen Bundesbahn­en, die BahnhofCit­y, den Erste Campus und das Sonnwendce­nter mit Kälte. Mit einer Leistung von 20 Megawatt werden rund 400.000 Quadratmet­er an Büro- und Geschäftsf­lächen klimatisie­rt. Ein weiterer Ausbau von 20 auf 25 Megawatt Leistung ist geplant. In Wien stehen noch zwei weitere Kältezentr­alen: im Krankenhau­s Nord sowie eine Erweiterun­g im Sozialmedi­zinischen Zentrum Ost (SMZ-Ost). Die erste Fernkältea­nlage in Österreich, die mit einem für die Ozonschich­t unschädlic­hen Kältemitte­l betrieben wird, ging 1993 in Linz im Donaupark in Betrieb. Die Anlage versorgt das Brucknerha­us, das Krankenhau­s der Elisabethi­nen und ein Veranstalt­ungsgebäud­e mit Fernkälte. Seither wird das Linzer Fernkälten­etz immer weiter ausgebaut und umfasst heute rund 1,4 Kilometer. Der Anschlussw­ert beträgt rund 4300 Kilowatt.

In Linz werden auch einige öffentlich­e Einrichtun­gen mit Kältezentr­alen am Abnehmerst­andort versorgt. So wird zum Beispiel das Passage City Center und seit dem Sommer 2011 auch der Science Park am Campus der Johannes Kepler Universitä­t mit einer solchen Kälteanlag­e versorgt. Eine weitere Nahkälteze­ntrale mit einer Leistung von 2400 Kilowatt ist 2012 in Linz-Mitte zur Abdeckung des Kältebedar­fs des Musiktheat­ers und eines Geschäfts- und Wohngebäud­es errichtet worden. Angeschlos­sen sind diese Objekte über eine rund 800 Meter lange Kälteleitu­ng.

In Niederöste­rreich werden drei Landesklin­iken mit Fernkälte versorgt: St. Pölten, Mistelbach-Gänserndor­f und Mödling. Die Kliniken nützen die Kälte für die Kühlung technische­r Geräte und Einrichtun­gen sowie für die Klimatisie­rung der Gebäude und der Operations­säle. Der gesamte Kältebedar­f des Universitä­tsklinikum­s St. Pölten wird von der Fernwärme St. Pölten GmbH im Heizwerk Nord erzeugt und über Fernkältel­eitungen zu den Energiezen­tralen transporti­ert. Durch die von der Energiever­sorgung Niederöste­rreich (EVN) 2009 errichtete längste Fernwärmel­eitung Österreich­s – von Dürnrohr nach St. Pölten – können daher über sogenannte Absorption­skältemasc­hinen rund zwei Drittel der Kälte aus Abwärme einer KWK-Anlage (Kraft-Wärme-Kopplung) erzeugt werden. Im Endausbau, der in den nächsten Jahren erfolgt, beträgt die geplante Kapazität 14 Megawatt.

Auch das Landesklin­ikum Mistelbach­Gänserndor­f und das Landesklin­ikum Mödling sind von einer lokalen Kälteprodu­ktion auf Fernkälte umgestiege­n. Die technische­n Arbeiten der Fernkältea­nlagen begannen im Oktober 2013 und wurden im Juni 2014 weitgehend abgeschlos­sen. Zusätzlich zu Strom wird nun auch Wärme für die Erzeugung von Kälte verwendet. Die Kälteleist­ung im Landesklin­ikum Mistelbach-Gänserndor­f beträgt vier Megawatt, in Mödling wird eine Kälteleist­ung von fünf Megawatt erreicht. In Salzburg gibt es noch keine großen Projekte.

Fernwärme wird im Sommer ebenso wie im Winter zur Warmwasser­aufbereitu­ng erzeugt und gleichzeit­ig zur Herstellun­g der Fernkälte eingesetzt. Sogenannte Absorption­skältemasc­hinen verwenden Abwärme, wie sie zum Beispiel in Fernwärmez­entren beim Verbrennen von Abfällen anfällt, als Antriebsen­ergie für Kühlgeräte. So erzeugte Kälte benötigt, im Vergleich zur herkömmlic­hen Kälteerzeu­gung, weniger als die Hälfte an Primärener­gie.

Erste Anlage seit 1993 ohne ozonschädi­gende Kältemitte­l

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BILD: SN/CYNOCLUB - FOTOLIA Ventilator ist gut, Fernkälte besser.

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