Die Griechen zwingen auch Europa zu Reformen
Die EU stößt derzeit an ihre Grenzen. Was sie braucht, ist nicht nur im stärkeren Miteinander zu finden.
Die EU sollte mit einem großen Tabu brechen
Sie lächelten immer freundlich, locker lässig, provokant, scheinbar entspannt, stolz. Aber ganz genau wusste man eigentlich nie, wie es gemeint war. Der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras und sein ehemaliger Finanzminister Yanis Varoufakis haben dem übrigen Europa jedoch nicht nur mit ihrem kryptischen Humor den Nerv gezogen.
Auch wenn sie nun in letzter Minute die Kurve vielleicht doch noch kratzen: In Griechenland scheinen derzeit schwer ideologisierte Überzeugungstäter am Werk zu sein, die den Grundkonsens des europäischen Einigungswerks nach dem Zweiten Weltkrieg grundsätzlich infrage stellen: die Bereitschaft zum Kompromiss, das Akzeptieren einer geteilten Souveränität.
Damit stößt dieser Tage nicht nur der halbbackene Euro an seine Grenzen. Europa kämpft noch immer mit vielfach stumpfen Waffen gegen die Macht der Finanzmärkte. Die EU-Staaten sind konfrontiert mit einem neu aufgeflammten Großmachtstreben Russlands und islamistischem Terror, der nicht vor ihren Toren haltmacht. Und sie sehen sich mit einer Völkerwanderung konfrontiert, die zur Jahrhundertaufgabe zu werden droht.
Die EU soll Antworten liefern, für die sie nicht gebaut ist oder für die sie erst dabei ist, sich zu rüsten. Was eine Währungsunion ohne politische Union wert ist, die sich in der Wirtschafts-, Sozial- und Steuerpolitik weitgehend gleichschalten muss, zeigen die Griechen, indem sie die anderen Eurostaaten am Nasenring durch die Manege führen.
Seit der Montanunion in den Fünfzigerjahren, dem aus sechs Staaten bestehenden Vorläufer der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, ist die Union zielstrebig in eine Richtung marschiert: immer größer, immer zentralisierter, aber immer noch weit weg von einer mit den USA vergleichbaren Union vereinigter Staaten von Europa.
Herausgekommen ist ein Europa mit zu vielen halben Sachen, die zu wenig überzeugende Antworten auf die globalen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts liefern. Politische Extremisten und Volksverhetzer von rechts wie links außen, die nur Ängste schüren und Feindbilder aufbauen, ohne echte Antworten zu liefern, haben daher Hochkonjunktur.
Europa muss sich heute der Tatsache stellen, dass der Integrationsprozess nicht nur eine Einbahnstraße bleiben kann. Die Griechen waren zuletzt immer Krisenherd und Katalysator zugleich, der die Eurozone durch Rettungsschirme, Bankenunion, durch vertiefte Zusammenarbeit (Sixpack) oder eine freiere Hand für die Zentralbank viel robuster hat werden lassen als zu Beginn der Finanzkrise.
Ob künftig mit oder ohne Griechen: Die Eurostaaten sollten jetzt die Gelegenheit nutzen, den Euro endgültig wasserdicht zu machen. Konkrete Vorschläge dazu haben zuletzt die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel und der französische Präsident François Hollande vorgelegt. Das würde im Kern, was längst überfällig ist, das Europaparlament viel besser in die Entscheidungsprozesse mit einbinden und die Rolle der Europäischen Kommission stärken, die dann in Abstimmung mit den Staats- und Regierungschefs die Leitlinien der Wirtschaftspolitik bindend vorgeben würde. Gerade nach den jüngsten Erfahrungen mit Griechenland ist mehr denn je zuvor klar, dass der Euro ohne stärkere Durchgriffsrechte auf die einzelnen Mitgliedsländer ein fragiles Projekt bleibt.
Umgekehrt wollen Staaten wie Großbritannien, die nicht Teil der Währungsunion sind, mit einer Renationalisierung das genaue Gegenteil. Sogar einem Kleinkind kann man erklären, dass das nicht mit den Anforderungen des Euro in einen Schuh passt. Warum also nicht stärker, als das bisher möglich ist, um ein Kerneuropa herum die Möglichkeit schaffen, dass einzelne Nationen viel loser mit den europäischen Institutionen verwoben sind als bisher?
Die EU benötigt dringend eine Phase der Konsolidierung, um Vertrauen und Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen. Europa ist sechs Jahrzehnte lang immer größer geworden und stärker zusammengewachsen. Wir sollten mit dem Dogma brechen, dass es ständig so weitergehen muss.
Zwischendurch einige Schritte zurück zu machen, ohne die Werte aufzugeben, für die Europa steht, ist keine Katastrophe. Inklusive einem wie auch immer gemeinten griechischen Lächeln.