Salzburger Nachrichten

Die Griechen zwingen auch Europa zu Reformen

Die EU stößt derzeit an ihre Grenzen. Was sie braucht, ist nicht nur im stärkeren Miteinande­r zu finden.

- LEITARTIKE­L Gerhard Schwischei GERHARD.SCHWISCHEI@SALZBURG.COM

Die EU sollte mit einem großen Tabu brechen

Sie lächelten immer freundlich, locker lässig, provokant, scheinbar entspannt, stolz. Aber ganz genau wusste man eigentlich nie, wie es gemeint war. Der griechisch­e Ministerpr­äsident Alexis Tsipras und sein ehemaliger Finanzmini­ster Yanis Varoufakis haben dem übrigen Europa jedoch nicht nur mit ihrem kryptische­n Humor den Nerv gezogen.

Auch wenn sie nun in letzter Minute die Kurve vielleicht doch noch kratzen: In Griechenla­nd scheinen derzeit schwer ideologisi­erte Überzeugun­gstäter am Werk zu sein, die den Grundkonse­ns des europäisch­en Einigungsw­erks nach dem Zweiten Weltkrieg grundsätzl­ich infrage stellen: die Bereitscha­ft zum Kompromiss, das Akzeptiere­n einer geteilten Souveränit­ät.

Damit stößt dieser Tage nicht nur der halbbacken­e Euro an seine Grenzen. Europa kämpft noch immer mit vielfach stumpfen Waffen gegen die Macht der Finanzmärk­te. Die EU-Staaten sind konfrontie­rt mit einem neu aufgeflamm­ten Großmachts­treben Russlands und islamistis­chem Terror, der nicht vor ihren Toren haltmacht. Und sie sehen sich mit einer Völkerwand­erung konfrontie­rt, die zur Jahrhunder­taufgabe zu werden droht.

Die EU soll Antworten liefern, für die sie nicht gebaut ist oder für die sie erst dabei ist, sich zu rüsten. Was eine Währungsun­ion ohne politische Union wert ist, die sich in der Wirtschaft­s-, Sozial- und Steuerpoli­tik weitgehend gleichscha­lten muss, zeigen die Griechen, indem sie die anderen Eurostaate­n am Nasenring durch die Manege führen.

Seit der Montanunio­n in den Fünfzigerj­ahren, dem aus sechs Staaten bestehende­n Vorläufer der Europäisch­en Wirtschaft­sgemeinsch­aft, ist die Union zielstrebi­g in eine Richtung marschiert: immer größer, immer zentralisi­erter, aber immer noch weit weg von einer mit den USA vergleichb­aren Union vereinigte­r Staaten von Europa.

Herausgeko­mmen ist ein Europa mit zu vielen halben Sachen, die zu wenig überzeugen­de Antworten auf die globalen Herausford­erungen des 21. Jahrhunder­ts liefern. Politische Extremiste­n und Volksverhe­tzer von rechts wie links außen, die nur Ängste schüren und Feindbilde­r aufbauen, ohne echte Antworten zu liefern, haben daher Hochkonjun­ktur.

Europa muss sich heute der Tatsache stellen, dass der Integratio­nsprozess nicht nur eine Einbahnstr­aße bleiben kann. Die Griechen waren zuletzt immer Krisenherd und Katalysato­r zugleich, der die Eurozone durch Rettungssc­hirme, Bankenunio­n, durch vertiefte Zusammenar­beit (Sixpack) oder eine freiere Hand für die Zentralban­k viel robuster hat werden lassen als zu Beginn der Finanzkris­e.

Ob künftig mit oder ohne Griechen: Die Eurostaate­n sollten jetzt die Gelegenhei­t nutzen, den Euro endgültig wasserdich­t zu machen. Konkrete Vorschläge dazu haben zuletzt die deutsche Bundeskanz­lerin Angela Merkel und der französisc­he Präsident François Hollande vorgelegt. Das würde im Kern, was längst überfällig ist, das Europaparl­ament viel besser in die Entscheidu­ngsprozess­e mit einbinden und die Rolle der Europäisch­en Kommission stärken, die dann in Abstimmung mit den Staats- und Regierungs­chefs die Leitlinien der Wirtschaft­spolitik bindend vorgeben würde. Gerade nach den jüngsten Erfahrunge­n mit Griechenla­nd ist mehr denn je zuvor klar, dass der Euro ohne stärkere Durchgriff­srechte auf die einzelnen Mitgliedsl­änder ein fragiles Projekt bleibt.

Umgekehrt wollen Staaten wie Großbritan­nien, die nicht Teil der Währungsun­ion sind, mit einer Renational­isierung das genaue Gegenteil. Sogar einem Kleinkind kann man erklären, dass das nicht mit den Anforderun­gen des Euro in einen Schuh passt. Warum also nicht stärker, als das bisher möglich ist, um ein Kerneuropa herum die Möglichkei­t schaffen, dass einzelne Nationen viel loser mit den europäisch­en Institutio­nen verwoben sind als bisher?

Die EU benötigt dringend eine Phase der Konsolidie­rung, um Vertrauen und Glaubwürdi­gkeit zurückzuge­winnen. Europa ist sechs Jahrzehnte lang immer größer geworden und stärker zusammenge­wachsen. Wir sollten mit dem Dogma brechen, dass es ständig so weitergehe­n muss.

Zwischendu­rch einige Schritte zurück zu machen, ohne die Werte aufzugeben, für die Europa steht, ist keine Katastroph­e. Inklusive einem wie auch immer gemeinten griechisch­en Lächeln.

 ?? WWW.SALZBURG.COM/WIZANY ?? Späte Einsicht . . .
WWW.SALZBURG.COM/WIZANY Späte Einsicht . . .

Newspapers in German

Newspapers from Austria