Es kriselt nicht nur in Griechenland
Der Schuldenstreit mit Athen beschäftigt die Eurozone rund um die Uhr. Andere Krisen brodeln bereits im Hintergrund.
Die letzte Frist, das ist mittlerweile ein dehnbarer Begriff in Brüssel. Er lässt sich aber nicht bis in alle Ewigkeit ausdehnen. Am 20. Juli ist definitiv der Tag der Entscheidung. Zahlt Athen dann die Rate an die Europäische Zentralbank nicht, ist die Pleite offiziell.
Wie lang die Woche bis dahin ist, das ist relativ. Für die Euroländer und die Gläubigerinstitutionen bleibt eine kurze Zeitspanne, in der eine Lösung erzielt werden kann. Für die griechischen Bürger und Unternehmen ist die Woche lang. Jeder Tag, der bis zu einer Einigung vergeht, ist einer zu viel.
Die Wirtschaft in dem ökonomisch ohnehin strauchelnden Land ist derzeit quasi lahmgelegt. Die geschlossenen Banken und weiterhin intakten Kapitalverkehrskontrollen schneiden Unternehmen vom Wirtschaftskreislauf ab. Lieferanten und Arbeiter können nicht bezahlt, keine Überweisungen ins Ausland getätigt werden. Für viele Betriebe kann das der wirtschaftliche Todesstoß sein.
Wir schlafwandeln in den Grexit, hat der liberale Europaabgeordnete Guy Verhofstadt vergangene Woche im EU-Parlament ganz richtig gesagt. Zu viel Zeit wurde in den letzten Monaten vertan, sodass sich jetzt alles auf ein Feilschen bis zur letzten Minute zuspitzt. Der Vertrauensverlust, ausgelöst durch das griechische Referendum, tat das Seinige dazu.
Die zähen Verhandlungen sind für Griechenland und die Eurozone insgesamt tragisch. Sie betreffen darüber hinaus aber längst die gesamte Europäische Union, nicht nur in wirtschaftlicher Sicht. Die Debatte über ein weiteres Hilfsprogramm überschattet seit Monaten alle anderen Krisenherde, die in und um Europa vor sich hin brodeln.
Millionen Menschen sind auf der Flucht. Viele davon wollen nach Europa. Auf einen Kontinent, der nicht weiß, wie er damit umgehen soll und der dem Problem derzeit nicht die notwendige Aufmerksamkeit schenkt. Die Situation in der Ukraine ist unverändert dramatisch. Das zweite Minsker Abkommen ist quasi gescheitert, auch wenn das noch niemand so deutlich eingestehen will. Wie geht es weiter? Was kommt auf die EU zu, wenn diese Konflikte nicht gelöst werden? Fragen, die in Brüssel zwar nicht gänzlich von der Agenda verschwunden, aber deutlich in den Hintergrund geraten sind.
Was sich viele Griechen derzeit am sehnlichsten wünschen, ist die Rückkehr zur Normalität. Mittlerweile braucht sie auch die Europäische Union insgesamt dringend. Sonst schlafwandeln wir nach dem Griechenland-Dilemma in die nächsten Krisen.