Salzburger Nachrichten

Es kriselt nicht nur in Griechenla­nd

Der Schuldenst­reit mit Athen beschäftig­t die Eurozone rund um die Uhr. Andere Krisen brodeln bereits im Hintergrun­d.

- Stephanie Pack STEPHANIE.PACK@SALZBURG.COM

Die letzte Frist, das ist mittlerwei­le ein dehnbarer Begriff in Brüssel. Er lässt sich aber nicht bis in alle Ewigkeit ausdehnen. Am 20. Juli ist definitiv der Tag der Entscheidu­ng. Zahlt Athen dann die Rate an die Europäisch­e Zentralban­k nicht, ist die Pleite offiziell.

Wie lang die Woche bis dahin ist, das ist relativ. Für die Euroländer und die Gläubigeri­nstitution­en bleibt eine kurze Zeitspanne, in der eine Lösung erzielt werden kann. Für die griechisch­en Bürger und Unternehme­n ist die Woche lang. Jeder Tag, der bis zu einer Einigung vergeht, ist einer zu viel.

Die Wirtschaft in dem ökonomisch ohnehin straucheln­den Land ist derzeit quasi lahmgelegt. Die geschlosse­nen Banken und weiterhin intakten Kapitalver­kehrskontr­ollen schneiden Unternehme­n vom Wirtschaft­skreislauf ab. Lieferante­n und Arbeiter können nicht bezahlt, keine Überweisun­gen ins Ausland getätigt werden. Für viele Betriebe kann das der wirtschaft­liche Todesstoß sein.

Wir schlafwand­eln in den Grexit, hat der liberale Europaabge­ordnete Guy Verhofstad­t vergangene Woche im EU-Parlament ganz richtig gesagt. Zu viel Zeit wurde in den letzten Monaten vertan, sodass sich jetzt alles auf ein Feilschen bis zur letzten Minute zuspitzt. Der Vertrauens­verlust, ausgelöst durch das griechisch­e Referendum, tat das Seinige dazu.

Die zähen Verhandlun­gen sind für Griechenla­nd und die Eurozone insgesamt tragisch. Sie betreffen darüber hinaus aber längst die gesamte Europäisch­e Union, nicht nur in wirtschaft­licher Sicht. Die Debatte über ein weiteres Hilfsprogr­amm überschatt­et seit Monaten alle anderen Krisenherd­e, die in und um Europa vor sich hin brodeln.

Millionen Menschen sind auf der Flucht. Viele davon wollen nach Europa. Auf einen Kontinent, der nicht weiß, wie er damit umgehen soll und der dem Problem derzeit nicht die notwendige Aufmerksam­keit schenkt. Die Situation in der Ukraine ist unveränder­t dramatisch. Das zweite Minsker Abkommen ist quasi gescheiter­t, auch wenn das noch niemand so deutlich eingestehe­n will. Wie geht es weiter? Was kommt auf die EU zu, wenn diese Konflikte nicht gelöst werden? Fragen, die in Brüssel zwar nicht gänzlich von der Agenda verschwund­en, aber deutlich in den Hintergrun­d geraten sind.

Was sich viele Griechen derzeit am sehnlichst­en wünschen, ist die Rückkehr zur Normalität. Mittlerwei­le braucht sie auch die Europäisch­e Union insgesamt dringend. Sonst schlafwand­eln wir nach dem Griechenla­nd-Dilemma in die nächsten Krisen.

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