Diese Wunde ist nicht verheilt
In Srebrenica wurde der 8000 Muslime gedacht, die 1995 im Bosnienkrieg von Serben ermordet worden waren. Es gab Szenen der Versöhnung, aber auch einen Eklat.
Politiker und Würdenträger blieben beim Gedenken an den Völkermord in Srebrenica vor 20 Jahren am Samstag unter sich. In der ehemaligen Batteriefabrik, dem damaligen Sitz der UNO-Soldaten, lauschten sie in ihren Sitzen nicht weniger als 15 Reden: Klagen über die ausgebliebene Verteidigung der „UNO-Schutzzone Srebrenica“, Forderungen nach dem Auffinden Hunderter immer noch unbehelligt lebender Täter und Aufrufe zur Versöhnung allenthalben.
Die illustren Gäste hatten offensichtlich so viel anderes zu besprechen, dass die Gedenkfeier erst mit 35 Minuten Verspätung starten konnte. Während Zehntausende Menschen draußen an den Gräbern unter sengender Mittagssonne ausharren mussten. Familienangehörige der 136 neu Bestatteten saßen stundenlang an den mit bosnischen Nationalfähnchen und grünem Stoff beschlagenen Särgen.
Auch nach so vielen Jahren spielen sich herzzerreißende Szenen ab. Viele Angehörige und Freunde brechen immer wieder in Tränen aus. Manche verharren im stillen Gebet. Die Frauen tragen vor allem weiße, aber auch rosarote Kopftücher und Schals. Beim islamischen Stundengebet Namaz unter Anleitung Dutzender Imame und bei der ergreifenden Beerdigungszeremonie steht ihnen der Schmerz förmlich ins Gesicht geschrieben.
Trotz Tausender Polizisten und Geheimdienstler kommt es doch zu einem schweren Zwischenfall. Serbiens Regierungschef Aleksandar Vučić, zu Beginn von den „Müttern Srebrenicas“noch überaus freundlich empfangen, wird mit Steinen und Schuhen angegriffen und leicht verletzt. Sicherheitskräften gelingt es in letzter Minute, die Vučić-Delegation aus der Gefahrenzone zu bringen.
Der oberste islamische Geistliche, Husein Kavazović, kann mit einem Appell an die Gläubigen die kritische Situation wieder unter Kontrolle bringen. Die Vučić-Angreifer hatten ein Transparent mit einer seiner alten problematischen Aussagen ausgerollt: „Für jeden getöteten Serben 100 Muslime“, hatte er ein paar Tage nach dem Völkermord im Parlament verlangt. Heute sagt er, die Bemerkung sei aus dem Zusammenhang gerissen worden.
Von den Vereinten Nationen und der EU bis zu zahlreichen Außenministern und allen Medien werden die Angriffe scharf verurteilt. Die Polizei hat bis Sonntag aber trotz der vielen Fotos und Videos von der Attacke noch keinen Angreifer festgenommen. Experten kritisieren, man hätte Vučić niemals an Tau- senden Opferfamilien vorbeigehen lassen dürfen.
Aber nicht nur dieser Zwischenfall deutet auf die alten Fronten hin, die noch längst nicht im Sinne der beschworenen Versöhnung geklärt sind. Der langjährige Kosovo-Regierungschef und heutige Außenminister Hashim Thaçi konnte an der Gedenkfeier nicht teilnehmen, weil ihm die bosnischen Serben die Durchfahrt versperrten. Der Albaner ist für die Serben ein Kriegsverbrecher.
Srebrenica gleicht auch nach 20 Jahren eher einer Geisterstadt mit nur wenigen Bewohnern und noch weniger zurückgekehrten Flüchtlingen. Wirtschaftlich liegt der Ort am Boden mit teilweise immer noch nicht wiederaufgebauter Infrastruktur. Ausländische Helfer sehen schwarz für die Zukunft.