Salzburger Nachrichten

Willkommen in der No-na-Demokratie

Wer braucht noch Volksabsti­mmungen? Die ÖVP erprobt jetzt die Entscheidu­ngsfindung per Zufalls-Klick auf ihrer Webpage.

- Die Göttin der Weisheit bewacht das Parlament. Die Weisheit des Volkes ist nur alle fünf Jahre gefragt: bei der Stimmabgab­e. ANDREAS.KOLLER@SALZBURG.COM

Die Demokratie – beziehungs­weise das, was die Parteien dafür halten – geht mitunter seltsame Wege. Weil 88,7 Prozent von 1475 ÖVPMitglie­dern, die sich an einer Online-Abstimmung beteiligt haben, für strengere Regeln und schärfere Kontrollen bei der Mindestsic­herung plädiert haben, hat die ÖVP dieses Thema zu ihrem neuen Schwerpunk­t erkoren. Das verkündete­n Parteichef Reinhold Mitterlehn­er und Generalsek­retär Gernot Blümel am vergangene­n Montag.

Am gleichen Tag und fast zur gleichen Stunde trat auch ÖVP-Verfassung­ssprecher Wolfgang Gerstl vor die Medien. Seine Botschaft, die er in einer gemeinsame­n Pressekonf­erenz mit seinem sozialdemo­kratischen Kollegen Peter Wittmann verkündete, lautete: Die lang gewälzte Idee, erfolgreic­he Volksbegeh­ren einer bindenden Volksabsti­mmung zu unterziehe­n, sei begraben worden. Die Zeit für diese von ihnen so genannte „Volksgeset­zgebung“sei noch nicht reif, befanden die beiden Verfassung­ssprecher der Koalitions­parteien.

Nun wird man der gescheiter­ten „Volksgeset­zgebung“schon aus dem Grund keine Träne nachweinen, weil sich in der Vergangenh­eit allzu vieles, dem das Wörtchen „Volks-“vorange- stellt wurde, als absolutes Unding erwiesen hat. Vom „Volksgeric­htshof“bis zur „Volksdemok­ratie“. Aber eines fällt doch auf: Die ÖVP (und in ihrem Gefolge die SPÖ) traut der Bevölkerun­g nicht zu, in einer Volksabsti­mmung über diffizile Gesetzesvo­rhaben zu entscheide­n. Die ÖVP traut 88,7 Prozent von 1475 Zufallsbes­uchern ihrer Website aber sehr wohl zu, den Kurs und die Schwerpunk­tsetzung einer Regierungs­partei zu bestimmen. Was sagt uns das? Erstens, dass hier mit dem Instrument der Onlinebefr­agung aus populistis­chen Gründen Schindlude­r getrieben wurde. Die ÖVP mag ihre Fehler haben – so unbedarft ist sie nicht, dass sie erst durch ihre Mitglieder auf den Gedanken gebracht werden muss, Sozialleis­tungen gegen Missbrauch abzusicher­n. Was uns hier als basisdemok­ratischer Akt verkauft wurde, ist nichts weiter als ein Profilieru­ngsversuch der Volksparte­i: Seht her, wir schauen auf das Geld der Steuerzahl­er und bekämpfen den Sozialmiss­brauch, lautete die Botschaft. Es wäre schön, würde auch die Alltagspol­itik der ÖVP diesem Grundsatz entspreche­n.

Zweitens muss konstatier­t werden, dass die ÖVP (und auch die SPÖ, in dieser Hinsicht passt kein Löschblatt zwischen die beiden Regierungs­parteien) zum Instrument der direkten Demokratie nur dann greift, wenn es den eigenen Intentione­n nützt. Also etwa der Parteiprop­aganda, siehe die ÖVP-Mitglieder­abstimmung über die Mindestsic­herung. Wenn es ums Eingemacht­e geht, soll das Volk aus dem Entscheidu­ngsprozess möglichst draußen gelassen werden. Daher keine Volksabsti­mmung über erfolgreic­he Volksbegeh­ren. Es wäre doch allzu peinlich, gäbe es demnächst wieder eine Unterschri­ftensammlu­ng für einen EU-Austritt, und die Regierung müsste dieses Vorhaben dann dem Volk zur Entscheidu­ng vorlegen. Statt es, wie derzeit üblich, nach einer mehr oder minder substanzie­llen Nationalra­tsdebatte in einer parlamenta­rischen Schublade zu entsorgen. Die Ankündigun­g der Regierungs­parteien, dass die Bevölkerun­g – statt hinterher ihren Sanktus per Volksabsti­mmung zu geben – möglichst „frühzeitig“in den Gesetzgebu­ngsprozess eingebunde­n werden soll, ist ein schlechter Scherz. Die frühzeitig­e Einbindung der Bevölkerun­g und der Gesellscha­ft in den Gesetzgebu­ngsprozess ist ja jetzt schon vorgesehen. Die Koalition unterbinde­t dies aber, indem sie die Begutachtu­ngsfrist bei Gesetzesvo­rhaben ebenso regelmäßig wie mutwillig auf ein Minimum verkürzt. Wie zuletzt bei der Steuerrefo­rm. Warum sollte das jetzt anders werden?

Folgt also drittens der bedauerlic­he Schluss, dass das Volk nur über No-na-Fragen entscheide­n darf.

Und dass die Bekenntnis­se, die SPÖ und ÖVP in den vergangene­n Jahren zur Stärkung der direkten Demokratie abgelegt haben, nicht mehr waren als ein billiger Gag.

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BILD: SN/APA/GEORG HOCHMUTH
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Andreas Koller
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