Willkommen in der No-na-Demokratie
Wer braucht noch Volksabstimmungen? Die ÖVP erprobt jetzt die Entscheidungsfindung per Zufalls-Klick auf ihrer Webpage.
Die Demokratie – beziehungsweise das, was die Parteien dafür halten – geht mitunter seltsame Wege. Weil 88,7 Prozent von 1475 ÖVPMitgliedern, die sich an einer Online-Abstimmung beteiligt haben, für strengere Regeln und schärfere Kontrollen bei der Mindestsicherung plädiert haben, hat die ÖVP dieses Thema zu ihrem neuen Schwerpunkt erkoren. Das verkündeten Parteichef Reinhold Mitterlehner und Generalsekretär Gernot Blümel am vergangenen Montag.
Am gleichen Tag und fast zur gleichen Stunde trat auch ÖVP-Verfassungssprecher Wolfgang Gerstl vor die Medien. Seine Botschaft, die er in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit seinem sozialdemokratischen Kollegen Peter Wittmann verkündete, lautete: Die lang gewälzte Idee, erfolgreiche Volksbegehren einer bindenden Volksabstimmung zu unterziehen, sei begraben worden. Die Zeit für diese von ihnen so genannte „Volksgesetzgebung“sei noch nicht reif, befanden die beiden Verfassungssprecher der Koalitionsparteien.
Nun wird man der gescheiterten „Volksgesetzgebung“schon aus dem Grund keine Träne nachweinen, weil sich in der Vergangenheit allzu vieles, dem das Wörtchen „Volks-“vorange- stellt wurde, als absolutes Unding erwiesen hat. Vom „Volksgerichtshof“bis zur „Volksdemokratie“. Aber eines fällt doch auf: Die ÖVP (und in ihrem Gefolge die SPÖ) traut der Bevölkerung nicht zu, in einer Volksabstimmung über diffizile Gesetzesvorhaben zu entscheiden. Die ÖVP traut 88,7 Prozent von 1475 Zufallsbesuchern ihrer Website aber sehr wohl zu, den Kurs und die Schwerpunktsetzung einer Regierungspartei zu bestimmen. Was sagt uns das? Erstens, dass hier mit dem Instrument der Onlinebefragung aus populistischen Gründen Schindluder getrieben wurde. Die ÖVP mag ihre Fehler haben – so unbedarft ist sie nicht, dass sie erst durch ihre Mitglieder auf den Gedanken gebracht werden muss, Sozialleistungen gegen Missbrauch abzusichern. Was uns hier als basisdemokratischer Akt verkauft wurde, ist nichts weiter als ein Profilierungsversuch der Volkspartei: Seht her, wir schauen auf das Geld der Steuerzahler und bekämpfen den Sozialmissbrauch, lautete die Botschaft. Es wäre schön, würde auch die Alltagspolitik der ÖVP diesem Grundsatz entsprechen.
Zweitens muss konstatiert werden, dass die ÖVP (und auch die SPÖ, in dieser Hinsicht passt kein Löschblatt zwischen die beiden Regierungsparteien) zum Instrument der direkten Demokratie nur dann greift, wenn es den eigenen Intentionen nützt. Also etwa der Parteipropaganda, siehe die ÖVP-Mitgliederabstimmung über die Mindestsicherung. Wenn es ums Eingemachte geht, soll das Volk aus dem Entscheidungsprozess möglichst draußen gelassen werden. Daher keine Volksabstimmung über erfolgreiche Volksbegehren. Es wäre doch allzu peinlich, gäbe es demnächst wieder eine Unterschriftensammlung für einen EU-Austritt, und die Regierung müsste dieses Vorhaben dann dem Volk zur Entscheidung vorlegen. Statt es, wie derzeit üblich, nach einer mehr oder minder substanziellen Nationalratsdebatte in einer parlamentarischen Schublade zu entsorgen. Die Ankündigung der Regierungsparteien, dass die Bevölkerung – statt hinterher ihren Sanktus per Volksabstimmung zu geben – möglichst „frühzeitig“in den Gesetzgebungsprozess eingebunden werden soll, ist ein schlechter Scherz. Die frühzeitige Einbindung der Bevölkerung und der Gesellschaft in den Gesetzgebungsprozess ist ja jetzt schon vorgesehen. Die Koalition unterbindet dies aber, indem sie die Begutachtungsfrist bei Gesetzesvorhaben ebenso regelmäßig wie mutwillig auf ein Minimum verkürzt. Wie zuletzt bei der Steuerreform. Warum sollte das jetzt anders werden?
Folgt also drittens der bedauerliche Schluss, dass das Volk nur über No-na-Fragen entscheiden darf.
Und dass die Bekenntnisse, die SPÖ und ÖVP in den vergangenen Jahren zur Stärkung der direkten Demokratie abgelegt haben, nicht mehr waren als ein billiger Gag.