Salzburger Nachrichten

Im Dachboden, vor einer Schachtel voller Kassetten

Gänsehaut bei manchen Songs. Ein paar Schilling für Afrika und eine Wut, die seither nie mehr enden wollte.

- Bernhard Flieher WWW.SALZBURG.COM/FLIEHER

Irgendwo im Dachboden liegen noch die Kassetten. Selbst mitgeschni­tten. Ein kleiner Schatz aus einem beginnende­n Leben mit Popmusik. Es war eine Zeit, in der Radiosende­r sich noch Zeit nahmen für das Gute, das Aufrechte. Und diese 16 Stunden Popkonzert, live übertragen vom 13. Juli Mittag bis in die frühen Morgenstun­den des 14. Juli 1985, waren so etwas Gutes. Vielleicht nicht unbedingt in jedem Ton, aber im Großen und Ganzen, in der von Humanismus geprägten Idee, etwas zu tun für Ärmere. Von diesem Grundkonse­ns sind heutzutage nicht nur Radiosende­r weit entfernt.

16 Sunden durchgesch­aut und mitgehört habe ich. Dass die beiden Live-Aid-Konzerte in London und in Philadelph­ia zu einer Zeit stattfand, als der Pop zwischen der Leere nach dem Ende des Punks, der verebbende­n New Wave und jeder Menge New-Romantic-SynthieBan­ds enorm leiden musste, war das Pech für dieses Mammutkonz­ert. 1985 war eher ein gutes Jahr für Friseure und Modegeschä­fte ohne Scheu vor Pastellfar­ben als für Pop mit langer Haltbarkei­t. Dazu kam auch noch, dass einige der alten Helden bestenfall­s mittelmäßi­g aufgelegt waren. Am fürchterli­chsten war wohl das Trio Keith Richards, Bob Dylan und Ron Wood, das zu viel Zeit mit heftigem Durst im Backstager­aum verbringen musste vor dem Auftritt. Egal. Am Ende des Tages, an dem mit mir rund eineinhalb Milliarden Menschen weltweit Popmusik schauten, waren 80 Mill. Pfund gespendet. Geldof saß auf den Schultern von Pete Townshend und Paul McCartney, Helden seiner Jugend und Inspiratio­n für seine eigene Musik, und wollte, wie er in seiner Biografie „Is It That“schreibt, „peinlich berührt voller Scham im Boden versinken“.

Neben Tränen über Afrika, der Überweisun­g von ein paar Schilling, die es zum Zeugnis gab, und einer Wut (die seither nicht endete) über eine Welt, die es sich zu bequem macht, war da auch noch Bono. Er und U2 gehörten zu den wenigen, deren Stern erst mit Live Aid richtig aufging. Es lag daran, dass Bono gegen alle Regeln der Veranstalt­er ins Publikum stieg und eine Frau zum Tanzen auf die Bühne holte. Geldof dachte hinter der Bühne wahlweise daran, „ihn umzubringe­n oder den Strom abzuschalt­en“. Er tat beides nicht, was einen der intimsten Momente der Mammutshow erlaubte. Und einen solchen schuf wenig später Geldof selbst. Beim letzten Vers seines Hits „I Don’t Like Mondays“blieb er, die Faust in den Himmel gereckt, ein paar Sekunden stehen und es wurde still, als hätten alle verstanden, wie die gerade gesungene Zeile neue Bedeutung erlangt: „And the lesson today is how to die.“Gänsehaut. Wie einfach das damals noch war: Es ging darum, armen Menschen zu helfen und ein bisschen hat’s auch geholfen. Und es war völlig klar: Engagierte Reiche singen für Arme, damit lahmarschi­ge Reiche sich schlecht fühlen müssen. Lange her . . .

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