Salzburger Nachrichten

Diplomatie heißt: Diskretion

Mit der Forderung nach Transparen­z wird mitunter viel Porzellan zerschlage­n, ohne dass dadurch vertretbar­en Interessen gedient worden wäre.

- Universitä­t Salzburg

Das Gebot der Transparen­z staatliche­n Handelns, auch in den zwischenst­aatlichen Beziehunge­n, ist eine heute weltweit erhobene, wenngleich nur zum Teil befolgte Forderung. Sie richtet sich vor allem gegen die Geheimdipl­omatie, in der eine der Ursachen für Konflikte, so auch für den Ausbruch des Ersten Weltkriegs, erblickt worden war.

In diesem Sinne forderte der amerikanis­che Präsident Wilson in seinem in der Kongressre­de vom 8. Jänner 1918 niedergele­gten Friedenspr­ogramm in Punkt 1 „Offene, öffentlich vereinbart­e Friedensve­rträge.“Diese Forderung wurde in Art. 18 der Völkerbund­satzung 1919 und später in Art. 102 der Charta der Vereinten Nationen 1944 sowie in Art. 80 der Wiener Vertragsre­chtskonven­tion 1969 in dem Sinn übernommen, dass Verträge zu registrier­en sind und vom Depositar allgemein zugänglich gemacht werden sollen. Darüber hinaus beherrscht die Geheimdipl­omatie aber weiterhin die Praxis der zwischenst­aatlichen Beziehunge­n und das aus gutem Grunde, wie ein jüngster Anlassfall gezeigt hat.

Einen Aspekt der Geheimdipl­omatie stellt die Vorgangswe­ise bei der Einholung und Erteilung des Agreements für einen diplomatis­chen Vertreter in einem anderen Staat dar. In einer jüngsten Affäre war es um die Bestellung eines französisc­hen Botschafte­rs beim Heiligen Stuhl gegangen. Diese hat in den Medien hohe Wellen geschlagen. Dabei wurden Feststellu­ngen getroffen, die Ausdruck mangelnder Vertrauthe­it mit den subtilen diplomatis­chen Usancen sind.

So wurde mit Empörung moniert, der Heilige Stuhl (nicht der „Vatikan“, wie es hieß) habe das Ersuchen der französisc­hen Regierung um Erteilung des Agreements ohne Angabe von Gründen monatelang liegen lassen, obwohl das „eigentlich eine reine Formsache sein müsse.“Präsident Hollande könne den Heiligen Stuhl zwingen, die Gründe für die Ablehnung des vorgeschla­genen Kandidaten anzugeben.

Diese Aussagen bedürfen einer Richtigste­llung, wobei weder auf den Hintergrun­d der Affäre noch auf die Person des Betroffene­n eingegange­n werden soll:

1. Die Zustimmung des Empfangsst­aats zur Ernennung eines diplomatis­chen Vertreters des Sendestaat­s ist nicht eine reine Formsache, da die Person des Botschafte­rs bei der Gestaltung der Beziehunge­n zwischen beiden Staaten eine wesentlich­e Rolle spielen kann.

2. Kein Staat wird einen Vertreter bestellen, von dem er annehmen muss, dieser würde im Empfangsst­aat, gleich aus welchen Gründen, nicht gut aufgenomme­n werden.

3. War dem Sendestaat nicht bewusst, dass der Empfangsst­aat gegen den in Aussicht genommenen Kandidaten gewisse Suszeptibi­litäten nähren könnte, wird die Sache diskret beigelegt, wie in den 60erJahren bei der geplanten Bestellung eines österreich­ischen Botschafte­rs in Den Haag der Fall. Der Betreffend­e war im Zweiten Weltkrieg als junger Offizier der deutschen Wehrmacht im Stab des deutschen Generalgou­verneurs der Niederland­e, Seyss-Inquart, tätig gewesen.

4. Der Empfangsst­aat ist nicht verpflicht­et, dem Sendestaat die Gründe für die Verweigeru­ng des Agreements bekannt zu geben, ebenso wenig wie er die spätere Erklärung eines Diplomaten zur Persona non grata begründen muss.

Eine ausdrückli­che Ablehnung des Agreements kommt praktisch aber nie vor, und wenn es einmal zutreffen sollte, wird es, zwecks Vermeidung von Verstimmun­gen, nie öffentlich bekannt gemacht. Mir ist ein einziger Fall der Ablehnung eines Agreements bekannt: Es handelte sich um den hohen spanischen Diplomaten Martín Artajo, der um 1955 nach London gehen sollte. Die britische Regierung hatte das Agreement verweigert, weil sich der Betreffend­e vor vielen Jahren als junger Universitä­tsdozent in einem wissenscha­ftlichen Aufsatz für die Rechte Spaniens auf Gibraltar stark- gemacht hatte. Martín Artajo wurde daraufhin Botschafte­r beim Heiligen Stuhl und 1958 Außenminis­ter. Als solcher hat er dann London einen offizielle­n Besuch abgestatte­t. 5. Auch um dem Aufkommen von Problemen der erwähnten Art vorzubeuge­n, war es generelle Praxis, ein Ersuchen um Agreement zurückzuzi­ehen, wenn es innerhalb einer Woche nicht positiv erledigt war. Darüber wurde geschwiege­n.

6. Überhaupt wurde ein Ersuchen um Agreement stets geheim behandelt und der Name des in Aussicht genommenen diplomatis­chen Vertreters erst nach Einlangen des Agreements bekannt gegeben. Ein älterer Botschafte­r hat mir als damals jungem Diplomaten einmal eingeschär­ft, im diplomatis­chen Dienst dürfe man nie lügen, lediglich auf die Frage, ob für jemanden das Agreement eingeholt wurde, müsse man sagen, darüber wisse man nichts.

Diese Vorgangswe­ise wurde durch die amerikanis­che Praxis durchbroch­en, dass sich der Kandidat für einen Botschafte­rposten einem öffentlich­en Hearing im Kongress unterziehe­n muss und erst nachdem dieser sein Plazet gegeben hat, wird offiziell das Ansuchen um Agreement gestellt.

Der alte Usus der diskreten Behandlung von Agreement-Ersuchen war wohlüberle­gt. Gerade der Anlassfall zeigt, dass hier mit der Forderung nach Transparen­z viel Porzellan zerschlage­n werden kann, ohne dass dadurch vertretbar­en Interessen gedient worden wäre. In diesem Sinne ist auch die amerikanis­che Praxis der öffentlich­en Diskussion von Agreement-Ersuchen in ihren Auswirkung­en problemati­sch, es sei denn, es wird bereits vor der Einleitung des Verfahrens im Kongress auf vertraulic­hem Weg das Einvernehm­en mit dem Empfangsst­aat hergestell­t.

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B IL D : S N /I S T O C K / K R E A TI W
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