Auch Minderjährige können haften
OGH maß Zehnjährigem, der einen Radunfall verursacht hatte, ein Viertel der Haftung zu.
Allzu häufig ist das Warnschild „Eltern haften für ihre Kinder“anzutreffen. Ebenso verbreitet ist die Ansicht, dass Minderjährige für ihr Verhalten und die Folgen daraus nicht einzustehen haben.
In strafrechtlicher Hinsicht beginnen die Deliktsfähigkeit und damit die Strafbarkeit mit dem Erreichen der Mündigkeit (14 Jahre). Bis dahin ist auch eine zivilrechtliche Haftung gemäß § 176 ABGB grundsätzlich ausgeschlossen. Allerdings regelt § 1310 ABGB, dass ein unmündiger Minderjähriger nach billigem Ermessen des Richters doch zum Schadenersatz verpflichtet werden kann. Diese (subsidiäre) Ersatzpflicht kommt aber immer nur zur Anwendung, wenn einem Aufsichtspflichtigen (Eltern, Lehrer, Kindergärtner etc.) keine Pflichtverletzung vorgeworfen werden kann, weil dann er die Haftung trägt.
In einem vom OGH kürzlich entschiedenen Fall (2Ob 31/15w) fuhr ein gerade zehn Jahre alter Bub ohne auf den Verkehr zu achten oder zu bremsen mit dem Fahrrad aus einer Wohnanlage im rechten Winkel auf die angrenzende Fahrbahn. Dort kam es zum Zusammenstoß mit dem späteren Kläger, der mit einem Elektrofahrrad unterwegs war und keine Sicht auf den herannahenden Minderjährigen hatte. Der Kläger hatte auch keine Möglichkeit, den Unfall durch Bremsen oder Ausweichen zu verhindern und erlitt beim Sturz eine Hüftfraktur.
Er begehrte Schadenersatz (insbesondere Schmerzengeld) vom Minderjährigen, zumal keine Verletzung der Aufsichtspflicht vorlag. Beide Unterinstanzen bejahten die Haftung und verpflichteten ihn zum Ersatz der Hälfte bzw. drei Viertel des Schadens.
Nach Ansicht des OGH war der Minderjährige, der die Radfahrprüfung kurz zuvor abgelegt hatte, im- mer noch als Kind gemäß § 3 StVO (Vertrauensgrundsatz) anzusehen. Allerdings war er zur selbstständigen Teilnahme am öffentlichen Verkehr als Radfahrer berechtigt und konnten daher andere Verkehrsteilnehmer ein verkehrsgerechtes Verhalten erwarten.
Ob einem Minderjährigen auch ein Verschulden an einem Unfall zur Last gelegt werden kann, hängt von dessen Einsichtsfähigkeit ab, die umso eher anzunehmen ist, je näher das Alter an der Mündigkeitsgrenze liegt. Dabei ist es auch maßgeblich, ob ihm sein Verhalten ohne Weiteres als gefährlich erkennbar sein musste. Ein allfälliges Mitverschulden an einem Unfall ist aber jedenfalls geringer zu bewerten als das von Erwachsenen.
Dem Buben, der in einer sozialpädagogischen Wohngemeinschaft lebt und weder über Vermögen, noch eine Haftpflichtversicherung verfügt, hielt der OGH auch zugute, dass er sich in einer psychisch belastenden Situation befand. Kurz vor dem Unfall hatte sich ein Freund beim Fußballspiel eine blutende Wunde zugezogen. Über dessen Ersuchen versuchte er die Mutter des Verletzten zu verständigen, konnte sie aber zu Hause nicht antreffen. Auf der Rückfahrt zum Sportplatz kam es dann zum Unfall.
Unter Abwägung dieser Umstände sowie bei Beachtung des Billigkeitsgedanken des § 1310 ABGB kam der OGH in Abänderung der Berufungsentscheidung zum Ergebnis, dass der Minderjährige für ein Viertel des Schadens des Klägers zu haften hat. Dem Buben droht daher mit Erlangen der Volljährigkeit (bzw. eines Einkommens) die zwangsweise Vollstreckung der zugesprochenen Forderung.
Neben der häufigen Unrichtigkeit des eingangs erwähnten Warnschilds zeigt das Urteil auch deutlich, dass der Abschluss einer privaten Haftpflichtversicherung vor (mitunter beträchtlichen) Schadenersatzforderungen aus alltäglichen Unfällen schützen kann.