Magisch angezogen von der Stadt
Die Integration von Flüchtlingen ist ein steiniger Weg. Die SN fragten in der Gemeinde Waldzell im Innviertel nach, die ursprünglich 75 Flüchtlinge aufgenommen hatte. Die Antworten sind teils erfreulich, teils ernüchternd.
WALDZELL. Sogar die Perfekt-Formen gehen schon: „Ich bin aufgestanden. Ich habe gegessen.“Und der oberösterreichische Dialekt. „Jo freili“, sagt ein Syrer, der seit dem Vorsommer auf seinen Asylbescheid wartet. Er ist einer jener, die sich trotz der langen Wartezeit bisher nicht unterkriegen ließen. Von den ursprünglich 75 Flüchtlingen in dem 2100-Seelen-Dorf im oberösterreichischen Innviertel, wurden bis auf 25 im Jänner alle in andere Orte verlegt. Von den 25, die geblieben sind, sind nur noch 16 da. Und was seit dem Besuch der SN in Waldzell im Dezember passiert ist, ist trotz einiger erfreulicher Entwicklungen auch ernüchternd.
Der alte Gasthof, in dem die großteils jungen syrischen Männer untergebracht sind, hat den Besitzer gewechselt. Seither sind dort auch 50 Leiharbeiter aus den neuen EULändern untergebracht, und nichts funktioniert mehr wie vorher. Von den 16 Flüchtlingen warten 13 immer noch auf eine Entscheidung, fünf haben noch nicht einmal einen Termin für ein erstes Interview bei der Asylbehörde. Die Logik dahinter erschließt sich nicht: So hat etwa ein Syrer Asyl bekommen, sein Bruder, der am selben Tag den Antrag stellte, wartet noch. „Sie sind zum Nichtstun verdammt, kommen sich als unnütze Almosenempfänger vor und waren ursprünglich voller Tatendrang“, sagt Gerd Rabe, pensionierter Hauptschullehrer und seit rund einem Jahr ehrenamtlicher Helfer in Waldzell. Eine Gruppe kommt seit Februar nicht einmal mehr zum Deutschunterricht, den er und ein Kollege organisieren. „Wohl als nutzloser Protest gegen die Warterei“, sagt Rabe. Manche seien in eine Depression gerutscht, verweigerten aber ärztliche Hilfe. Ein Dilemma.
Auf der anderen Seite seien die meisten, die einen positiven Bescheid gekriegt haben, nach Wien gegangen, in der Hoffnung, es dort besser zu haben. „Da wohnen sie jetzt in Massenquartieren, leben von der Mindestsicherung, lernen kaum Deutsch und werden auch nicht wirklich motiviert, einen Job anzunehmen“, sagt Rabe.
Sadon will im Innviertel bleiben, er fühlt sich wohl hier. Doch auch ihm ist zu Ohren gekommen, dass in Wien „alles schneller“gehe, der Zugang zur Mindestsicherung einfacher sei und es mehr Geld gebe. Auf dem Land ist offenbar auch der
„In Wien, sagen sie, geht alles schneller – und einfacher.“
soziale Druck größer. Auf dem Sozialamt werde er etwa auch stets gefragt, was er mache und wie es mit der Arbeitssuche geht. In Wien, sagen seine Freunde, sei das nicht so.
Dabei sind die Voraussetzungen für die Mindestsicherung überall gleich, auch wenn sich die Höhe von Bundesland zu Bundesland unterscheidet. In Wien ist das Sozialgeld plus Mietbeihilfe für einen Alleinstehenden mit rund 930 Euro monatlich höher als in Oberösterreich mit rund 903 Euro (Mietzuschuss schon eingerechnet). Wer sich der Arbeitssuche verweigert, dem wird das Geld gekürzt. Ein Faktum ist: Die Mindestsicherung wird in Städten, auch in den Landeshauptstädten, ungleich häufiger in Anspruch genommen – in Wien et- wa leben zwei Drittel aller Bezieher Österreichs. Zahlen für 2014 oder gar heuer gibt es noch keine. Dass der Zuzug von anerkannten Flüchtlingen nach Wien ein großes Thema ist, hat der neue Flüchtlingskoordinator der Stadt jüngst bestätigt. Man habe schon bei der Bundesregierung interveniert, dass das finanziell berücksichtigt werden müsse. Fest steht auch: Es gibt zu wenig e Sprachkurse.
Sadon hat am 12. August seinen ersten Interviewtermin bei der Asylbehörde. Dann geht es mit dem Bescheid meist rasch. Was er einmal arbeiten will? „Ist mir egal, ich mache jede Arbeit“, sagt er. Gemeinsam mit sieben anderen syrischen Kurden hat er schon beim Bezirksmusikfest drei Tage lang mitgear- beitet und ist sogar bei der viertägigen Wallfahrt nach St. Wolfgang mitgegangen. Die Männer sind auch gern gesehene Besucher in Schulen. „Gegen die Flüchtlinge in Waldzell gibt es überhaupt nichts zu sagen“, sagt Johann Jöchtl, seit 19 Jahren roter Bürgermeister. Kopfzerbrechen bereitet Jöchtl schon eher der neue Besitzer des Gasthofs, in dem die Flüchtlinge untergebracht sind. Seit 50 Leiharbeiter dort untergebracht seien, mache sich unterschwellig Unmut im Ort breit, sagt er. Es gebe Probleme mit der Mülltrennung und beim Anmelden. Zuletzt sollen auch Sachen weggekommen sein. Mit den Flüchtlingen hingegen habe es noch nie Probleme gegeben. Warum es dann in den umliegenden Gemeinden kaum Bereitschaft gebe, wen aufzunehmen? „In Wahrheit haben alle Angst, den schwarzen Peter zugeschoben zu kriegen. In Vorwahlzeiten ist das alles noch schwieriger“, sagt er. Er versteht das nicht: „Dass so viele Flüchtlinge ins Land kommen, ist ein Thema. Aber wenn sie im Land sind, dann sind sie anständig zu behandeln.“Auch Jöchtl will im September als Bürgermeister wiedergewählt werden.