Kein Pardon für Luthers Leute
Das Land Salzburg verlor Mitte des 18. Jahrhunderts ein Fünftel seiner Bewohner. Wer dem „falschen“Glauben anhing, war ein „Rebeller“und wurde brutal vertrieben.
SALZBURG. Sein Porträt hängt im Schloss Leopoldskron: Leopold Anton Eleutherius Reichsfreiherr von Firmian. Stolz und aufrecht sitzt er im Lehnstuhl, Spitze und Seide des erzbischöflichen roten Prunkgewandes großzügig um sich drapiert, den Zeigefinger der rechten Hand leicht erhoben; die Augen eisgrau auf den Betrachter gerichtet, den Mund fest verschlossen. Alle Macht und Herrlichkeit wollte er während seiner Amtszeit, die von 1729 bis zu seinem Tod im Jahr 1744 dauerte, der katholischen Kirche wiedergeben. Ohne Gnade.
Der neuen Blüte stand die alte Saat im Wege, die Martin Luther von 1517 an ausgestreut hatte. In den habsburgischen Ländern war sie aufgegangen. Ein Teil von Adel und Bauernschaft hatte nicht nur das Bedürfnis nach religiöser Neubesinnung, sondern den Wunsch nach mehr Freiheit und Sozialreformen. Gegen 1550 kam es in allen habsburgischen Ländern mit Ausnahme Tirols zur Einrichtung eines reformatorischen Kirchenwesens. Die Stände verlangten die Duldung ihres evangelischen Bekenntnisses. Die mit drakonischen Mitteln durchgesetzte Gegenreformation drängte den Protestantismus allerdings großteils in den Untergrund. Wer dies nicht hinnahm, musste das Land verlassen. Mit dem Westfälischen Frieden, der 1648 den Dreißigjährigen Krieg beendete und festlegte, dass die katholische wie die evangelische Konfession gleichgestellt wurden, erlangten lediglich die landständischen Adeligen Niederösterreichs die persönliche Religionsfreiheit. Firmians erzbischöflicher Vorgänger räumte in Salzburg auf. Unter den Bauern im Pongau und den Bergknappen in den Salzund Metallbergwerken des Landes gab es dennoch weiterhin viele geheime Protestanten. Doch die Zeit sollte nicht für sie arbeiten.
Leopold Anton von Firmian holte jesuitische Missionare ins Land, um die Ketzer zu bekehren. Die Salzburger erzählten, dass im Jahr 1728 der Papst die offizielle Grußformel und die richtige Antwort darauf für die Bürger vorgeschrieben hatte: „Gelobt sei Jesus Christus“und „von nun an bis in Ewigkeit“. Wer sich daran hielt, kam 200 Tage früher aus dem Fegefeuer. Wer den Gruß verweigerte, war ein Abtrünniger, ein „Rebeller“, ein Sektierer. Die Salzburger Protestanten verweigerten sich. Die Jesuiten machten sich an die Arbeit. Die Politik half gründlich mit. Die Verfolgung Andersgläubiger hatte hierorts zu diesem Zeitpunkt schon eine lange Tradition: 1404 wurden in der Stadt Salzburg Juden grausam verbrannt. Erzbischof Leonhard von Keutschach verfügte 1498 schließlich auf Druck der Landstände die Landesverweisung für alle Juden, die sich fortan in Salzburg nicht mehr niederlassen durften. Auf diese Weise schaffte man sich gleich auch noch unliebsame wirtschaftliche Konkurrenz vom Hals.
Christoph Lindenmeyer, evangelischer Theologe und Honorarprofessor an der Friedrich-AlexanderUniversität Erlangen-Nürnberg, hat dem Schicksal der Salzburger Pro- testanten des 18. Jahrhunderts in vielen Briefen, Tagebüchern und anderen historischen Quellen nachgespürt und ein sehr berührendes Buch darüber geschrieben.
Mehr als 22.000 Bürger des Landes waren von dem fürsterzbischöflichen Ausweisungserlass 1731 betroffen. Unbehauste hatten acht Tage lang Zeit, Salzburg zu verlassen, Bürger mit Besitz ein bis drei Monate. Künftighin mussten alle Bewohner des Landes ihr katholisches Bekenntnis durch entsprechende religiöse Handlungen unter Beweis stellen. Die Büttel holten die „Rebeller“von den Feldern, aus den Häusern, steckten sie in Kerker, schlugen und folterten sie. Sie entrissen ihnen die minderjährigen Kinder, um sie in Klöstern katholisch erziehen zu lassen. Unter den Vertriebenen waren Menschen im Alter von 70 oder 80 Jahren, die kaum noch lange Märsche durch- halten konnten. Wurden bei Razzien verbotene Bücher entdeckt, so zerhackte man diese oder warf sie ins Feuer. „Der Teufel der Widerspenstigkeit“sollte lichterloh brennen. Wer lesen und schreiben konnte, war verdächtig. Denunzianten wurden belohnt. Gut katholische Mitbürger standen bereit, verlassene oder in der Not günstig verscherbelte Güter zu übernehmen.
Der Terror im Salzburgischen blieb nicht unbemerkt. Der Erzbischof war aber trotz des Versuches von Kaiser Karl VI., die Lage zu beruhigen, entschlossen. Die Widerständler mussten weg. Evangelische und katholische Fürsten anderer Länder protestierten. Sie beriefen sich auf das Abkommen des Westfälischen Friedens. Doch die habsburgischen Erblande waren von den Bestimmungen über eine Duldung Andersgläubiger ausgenommen. Friedrich Wilhelm I. von Preußen erließ Anfang 1732 ein Patent, in dem er sich bereit erklärte, den ausgewiesenen Salzburgern in Ostpreußen eine Zuflucht zu geben. Er brauchte Handwerker und tüchtige Siedler, die sich mit Landwirtschaft auskannten. Die Salzburger waren bekannt dafür. 15.508 kamen an. Rund 500 Menschen überstanden die Reise nicht, obwohl sich ihnen helfende Hände entgegengestreckt hatten. In vielen Städten entlang der Route sammelten Bewohner Geld, Kleidung und Essen, gaben Obdach, Mitgefühl und Rat. Der Augsburger Pfarrer Samuel Urlsperger, der die Evangelischen heimlich unterstützt hatte, vermittelte für eine kleine Gruppe die Ansiedlung in Georgia in Amerika. Ein Honiglecken wurde der Aufbau der neuen Heimat nicht.