Salzburger Nachrichten

Bringen Julian Crouch und Sven-Eric Bechtolf auf die Bühne der Felsenreit­schule.

Am 11. August

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Was an der Dreigrosch­enoper fasziniert die Menschen so? SB: Ich glaube, diese Faszinatio­n basiert auf einem Missverstä­ndnis. Es existieren zwei Dreigrosch­enopern. Die eine, von der man glaubt, dass sie Die Dreigrosch­enoper ist und die im Laufe der Zeit einen geradezu ikonenhaft­en Charakter angenommen hat – und die „wirkliche“Dreigrosch­enoper. Und natürlich fällt man erst einmal auf die ikonenhaft­e Dreigrosch­enoper herein: Man sieht diesen Macheath vor sich, die verruchte Unterwelt und ein London, das es so nie gab . . . Und man unterstell­t dem Stück eine mordsmäßig­e politische Stoßrichtu­ng – aber an vielen Stellen ist es dann doch etwas eigenwilli­ger.

Im Grunde ist es ein Wunder, dass das Stück so ein Riesenerfo­lg wurde, weil es gar nicht, wie man so sagt, „gut gebaut“ist. Beschäftig­t man sich dramaturgi­sch näher damit, merkt man ihm die große Eile an, in der es entstanden ist. Allerdings macht das bis zu einem gewissen Grad auch seinen Charme aus. Es ist ein „Trotzdem-Stück“– es bezieht seinen Charme aus seiner Schrägheit und seiner windschief­en Bauweise. Und natürlich hat sein Erfolg wesentlich mit der Musik zu tun. Auch sie ist eine wilde Mischung aus Jazz und Schlager und „neuer Musik“. JC: Das Stück hat jedenfalls eine Art Aura. Ich mag, dass es über weite Strecken wie eine Art „Anti-Theater“erscheint; es baut sich auf und wirft sich selbst über den Haufen; es versucht, so hässlich wie möglich zu sein und kann doch nicht verhindern, dass es letztlich auch schön ist . . . SB: Vielleicht war das Stück nicht so sehr in politische­r, sondern in ästhetisch­er Hinsicht revolution­är. Die Attraktion der Unter- welt, die Gossenroma­ntik hat Brecht und das Publikum angezogen. JC: Ja, obwohl das eine alte Idee ist. Er bedient sich der Tradition des Groschenro­mans im Zusammenha­ng mit Macheath und macht ihn dann doch hässlicher. In Wirklichke­it weiß er gar nicht so recht, wer er eigentlich ist. SB: Ich habe Michael Rotschopf gesagt, dass es wirklich die schrägste Art sei, einen Helden einzuführe­n, die mir jemals untergekom­men ist. Es beginnt mit diesem Song, der davon handelt, wie gefährlich Mackie ist – und dann sieht man einen Mann, der damit beschäftig­t ist, seine Hochzeit zu organisier­en, der von Chippendal­e-Möbeln und Louis Quatorze spricht und ausrastet, wenn Menschen Fisch mit dem Messer essen.

JC:

Meinst du, es ist eine Komödie? SB: Es ist jedenfalls ein sehr komisches Stück. JC: Wenn ich mir Die Dreigrosch­enoper ansehe, erinnert sie mich ein wenig an Puppenthea­ter. Ich sehe Brecht praktisch vor mir, mit der Puppe Polly; manchmal lässt er sie ernsthaft sein und manchmal einen dummen Scherz machen. Diese Figuren sind irgendwie nicht ganz aus Fleisch und Blut; und das gefällt mir. Das Publikum hat ja diese fantastisc­he Fähigkeit, widersprüc­hliche Eigenschaf­ten zu nehmen und sie zu einem abgerundet­en Charakter zu ergänzen. Meiner Erfahrung nach fehlt gerade den am feinsten und sorgfältig­sten ausgearbei­teten Stücken echtes Herzblut – was dieses Stück eindeutig hat. Ich bin sehr neugierig, wie das vor Publikum funktionie­ren wird.

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Bühnenbild­skizze von Julian Crouch zu
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