Erfolg ist eine Frage des Systems
Die offensiv ausgerichtete Spielphilosophie wird Red Bull Salzburg derzeit zum Verhängnis. Am Reißbrett erfunden hat diese ein Mann namens Helmut Groß – der Mentor von Ralf Rangnick und Peter Zeidler.
SALZBURG. Die Enttäuschung bei Fußballmeister Red Bull Salzburg sitzt Tage nach der 0:3-Niederlage in Malmö noch tief. Auch der achte Anlauf der Bullen, in die Gruppenphase der Champions League einzuziehen, scheiterte. Doch damit nicht genug: In der Bundesliga legte Salzburg ebenfalls einen kapitalen Fehlstart hin, drei der letzten vier Pflichtspiele gingen verloren.
Das ist freilich kein Zufall, sondern das Ergebnis des offensiv ausgerichteten Spielsystems. Die Ausgangslage ist verzwickt: Weil Red Bull Salzburg mit einer extrem jungen Mannschaft in die Saison gestartet ist, gleichzeitig aber weiterhin eisern an der Red-Bull-typischen Philosophie festhält, wachsen derzeit die Problemzonen im Bullen-Imperium.
Der Pressing-Fußball hat im zweiten Jahr von Trainer Roger Schmidt perfekt funktioniert, aber dem standen auch Spieler vom Format eines Kevin Kampl, Sadio Mané oder Alan zur Verfügung. Das jetzige Team von Trainer Peter Zeidler verfügt zweifellos auch über Potenzial, die Jüngsten können die hohen Anforderungen, die dieser Fußball mit sich bringt, auf dem Platz aber (noch) nicht umsetzen.
In Malmö stürmten David Atanga, Dimitri Oberlin und Co. wild drauflos, ohne nach hinten abzusichern. Ein einziger Pass von Markus Rosenberg genügte, um die viel zu weit aufgerückte Abwehr aus den Angeln zu heben. Was hilft es da, wenn Red Bull Salzburg, wie der Trainer nach dem Schlusspfiff betonte, in der gegnerischen Hälfte so viele Ballgewinne hatte wie noch nie zuvor? Auch in zahlreichen anderen Statistiken waren die Bullen im Vorteil. „Im Endeffekt zählt im Fußball die Effizienz. Es zählen nur Tore“, weiß auch Zeidler.
Wie schon seine beiden Vorgänger Roger Schmidt (Trainer von 2012 bis 2014) und Adi Hütter (2014 bis 2015) wird auch Peter Zeidler von einem Mann namens Helmut Groß beraten. Der knapp 70-jährige Deutsche, ein Bauingenieur, hat das Spielsystem gemeinsam mit Ralf Rangnick am Reißbrett entwickelt. Er gilt in seiner Heimat als Fußballpionier. Vor mehr als 30 Jahren, als in Deutschland die Manndeckung noch das Maß der Dinge war, führte Groß als Trainer beim AmateurClub FC Geislingen die ballorientierte Raumdeckung ein. Er orientierte sich dabei an Vorbildern wie Ernst Happel und Walerij Lobanowski, modifizierte das System aber nach seinen Vorstellungen. Später baute Groß die Nachwuchsabteilung des VfB Stuttgart auf – und hatte zwei innovative und lernwillige Schüler: Rangnick und Zeidler, die gerade am Beginn ihrer Trainerkarriere standen. Auch Thomas Tuchel, mittlerweile bei Borussia Dort- mund unter Vertrag, gehörte zu seinen Musterschülern.
Die Philosophie lautete damals wie heute: schnelle Ballrückeroberung nach Ballverlust, überfallartiges Pressing im Schwarm, blitzschnelles Umschalten nach Ballgewinn und extrem hohes Verteidigen, um den Gegner weit weg vom eigenen Tor zu halten.
Im Red-Bull-Fußballimperium hält sich Groß ausnahmslos im Hintergrund auf. Er gibt keine Interviews, besucht keine Pressekonferenzen oder andere offizielle Veranstaltungen. Groß beobachtet, analysiert – und optimiert. „Er sieht Sachen, die sind wirklich unglaublich. Er geht sehr in die Tiefe und macht auch immer wieder Trainerfortbildungen, nicht nur in Salzburg, sondern auch bei RB Leipzig“, sagte Hütter einmal in der Sendung „Talk und Tore“auf Sky. Sein Nachfolger Zeidler bezeichnet Groß als „fortschrittlichen Geist“, der sehr wissenschaftlich an das Thema Fußball herangeht.
„Kontrolliertes Chaos“nennt Helmut Groß seine Idee vom Fußball. Was er damit meint, erklärte er der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“(FAZ), der er 2013 einmal ein Interview gewährte, so: „Es geht darum, noch effektiver als Schwarm für Überzahlsituationen auf dem Feld zu sorgen. Nicht nur durch schnelleres Rennen der Spieler, sondern auch durch Antizipieren und Schläue. Der Schwarm hat mehr Möglichkeiten als der Einzelne. Der Schwarm muss aber mitdenken, gut zusammenarbeiten, sprinten, schnell reagieren. Zur Er-
„Als Schwarm ist ein Team effektiver.“Helmut Groß, Red-Bull-Berater
holung kann der Schwarm den Ball laufen lassen, die eigenen Abstände vergrößern, damit der Gegner hinterherlaufen muss.“Und weiter meinte er zur Spielphilosophie: „Wenn viele Spieler mitsprinten, ist die Chance auf eine schnelle Balleroberung größer. Außerdem landen Bälle, die auf diese Art und Weise erobert werden, viel wahrscheinlicher im Tor als zum Beispiel nach einem Fehlpass des Gegners, der nicht erzwungen wurde.“
Einfluss nimmt Groß auch bei der Auswahl der Spieler, wie er der FAZ erklärte: „Ich brauche Spieler, die sehr vielseitig sind im Zusammenwirken und unterschiedliche Situationen bewältigen können. Spieler mit ,besonderen Waffen‘ brauche ich zwar auch noch, aber ganz wenige. Vielleicht ganz vorn als Stürmer, aber auch da gibt es schon andere Lösungen. Heute wird sowieso versucht, flach und schnell zu spielen, da brauche ich nicht unbedingt jemanden, der auf eine Flanke wartet. Mehr als 90 Prozent der Tore werden im Strafraum vorbereitet. Flanken von ganz außen, welche die Zuschauer immer so gern fordern, führen nur im Promillebereich zu Toren.“
Das Problem von Red Bull Salzburg: Dieses System war noch nie erfolgreich, wenn es um den Einzug in die Champions League ging: 2013 stürmten die Bullen gegen Fenerbahce Istanbul (1:1 im Hinspiel, 1:3 im Rückspiel) ins Verderben, 2014 (2:1, 0:3) und 2015 (2:0, 0:3) jeweils gegen Malmö FF.