Die Gier nach Profit steht über allen Regeln
Zu groß, zu schnell, zu gierig. Die Ursachen der Explosion von Tianjin zeigen moralische Mängel in China.
Die Katastrophe in der Hafenstadt Tianjin zeigt zwei Grundprobleme Chinas: einen Mangel an Kontrolle und die Folgen extrem schnellen Wachstums. Präsident Xi Jinping verspricht zwar schon seit Amtsantritt Abhilfe. Er will die Bestechlichkeit bekämpfen und die Entwicklung nachhaltiger machen. Doch der Anspruch seiner Partei auf Alleinherrschaft blockiert an vielen Stellen den Fortschritt. Es geht um eine Strukturfrage. Ganz offensichtlich hat die Aufsicht über den Hafen nicht funktioniert, denn auch in China gelten strenge Regeln zum Umgang mit Gefahrstoffen. Allerdings gilt auch der Grundsatz: Wer mit Korruption oder illegaler Kostenersparnis davonkommt, hat es richtig gemacht.
Dabei bräuchte China ein optimales Sicherheitsverständnis. In der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt stehen mehr Chemiewerke und Raffinerien als in jedem anderen Land. Zahlreiche Kernkraftwerke befinden sich im Bau. In China hat alles kaum fassbare Maßstäbe: Mehrere Hundert Tonnen Blausäureverbindungen waren in einer Stadt mit 14 Millionen Einwohnern gelagert, die Detonation glich einer Kernexplosion. Hauptursache war die Missachtung von Regeln. Im Reich der Mitte fallen Anspruch und Wirklichkeit weit auseinander. Die Kommunistische Partei betont Ordnung und Disziplin. Sie verspricht den Bürgern höchste Standards. Sie hält die Gesellschaft mit einem gigantischen Polizeiapparat unter Kontrolle. Doch gerade der Polizeistaat ist es, der einem Sicherheitsbewusstsein oft entgegensteht. Wenn die Hafenaufsicht mit einem Chemiehändler unter einer Decke steckt, um Blausäure billig zu lagern, können der aufmerksame Bürger oder ein unzufriedener Mitarbeiter kaum etwas tun. Die Menschen haben Angst, sich an Medien oder Polizei zu wenden.
Der Rest ist Mentalitätsfrage. Gewinn geht in China noch viel deutlicher vor Moral als in anderen Gesellschaften. Ein Lagerhausbetreiber, der brennbare Chemikalien ohne besondere Absicherung im Hafen abstellt, passt ins Bild.
Präsident Xi Jinping hat das Problem zwar erkannt und steuert mit einer Propagandakampagne für eine „Gesellschaft mit sozialistischen Werten“. Beamte trauen sich inzwischen zwar mehrheitlich nicht mehr, die Hand aufzuhalten. Sie tun das aber nicht aus Stolz auf saubere Arbeit, sondern aus Angst vor Strafe. An alldem wird sich kurzfristig wenig ändern lassen, doch eine freie Presse und eine offene Gesellschaft mit Transparenz und Rechtfertigungsdruck für die regierende Partei könnten schon viel bewirken.