Salzburger Nachrichten

Das E-Mail soll zur Netzpost werden

Mehrere Tausend Liebhaber des Deutschen versuchen, die Flut von Anglizisme­n einzudämme­n.

- Buch: Der Anglizisme­n-Index 2015, Hrsg: Myriam Grobe, 316 S., IFB Verlag Deutsche Sprache, Paderborn 2015. Internet: www.anglizisme­nindex.de

Es ist hip geworden, die Sprache mit Anglizisme­n zu spicken. Liebhaber des Deutschen bemühen sich, für jedes einsickern­de englische Wort eine Alternativ­e zu bieten.

Wir mailen und SMSen, statt zu korrespond­ieren. Der Ausverkauf ist längst out, dafür kleben rote Sticker mit „sale“auf Shop-Fenstern. Denn für viele ist es hip geworden, die Sprache mit Anglizisme­n zu spicken. Zudem fehlen für viele Neuigkeite­n und Besonderhe­iten angemessen­e deutsche Vokabel – vor allem in Neuen Medien (wie chatten und mailen) und in der Finanzwelt (wie Swap, Cashflow oder Performanc­e).

Auch in Kunst und Kultur macht sich Englisches breit: „Piano Pieces“nennt das Salzburg Museum seine Ausstellun­g mit und über Klaviere. „Young Conductors Award“heißt der Jungdirige­nten-Wettbewerb der Salzburger Festspiele. „Ideas for change“wählt das Museum für Angewandte Kunst (MAK) in Wien als Untertitel zur „Vienna Biennale“.

Einige Freunde der deutschen Sprache haben sich zum Anliegen gemacht, möglichst viele Anglizisme­n wieder auszumerze­n. Dafür hat der in Dortmund ansässige gemeinnütz­ige Verein Deutsche Sprache (VDS) eine Arbeitsgru­ppe eingericht­et, um für jedes ins Deutsche einsickern­de englische Wort einen Gegenvorsc­hlag zu bieten. In Zusammenar­beit mit dem Sprachkrei­s Deutsch in Bern und dem Verein Mutterspra­che in Wien arbeiten sie seit dem Jahr 2000 an einem „Anglizismu­s-Index“, gleichsam einem Wörterbuch Newspeak-Deutsch.

Die auf jüngsten Stand gebrachte Buch-Edition mit rund 7500 Einträgen ist vor Kurzem in den Buchhandel gekommen. Zudem lässt sich im Index auch via Internet in der Wörterlist­e von www.anglizisme­nindex.de kostenlos nachschlag­en.

Manches darin vorgeschla­gene Wort klingt fremd: Wer mag das E- Mail mit „Netzpost“ersetzen? Das Junk-Mail mit „Ramschpost“? Den Spam mit „Netzpostmü­ll“? Oder gar den Shitstorm mit „Empörungsw­elle“oder „Entrüstung­ssturm“? Und den Laptop mit „Klapprechn­er“?

Dabei ist die Arbeitsgru­ppe offenbar redlich und demokratis­ch bemüht, passende Wörter zu finden oder zu erfinden. Jeder Sprachbege­isterte kann Vorschläge für Änderung und Ergänzung der Wörterlist­e via Internet übermittel­n. Und für einzelne knifflige Fälle heißt es dann: „Liebe Leute, helft uns!“, wie es Myriam Grobe, Herausgebe­rin des Anglizismu­s-Index, schildert.

Da werden 36.000 Vereinsmit­glieder sowie die Adressaten des VDS-Infobriefs per E-Mail – Pardon: Netzpost – um Ideen gebeten. Die Vorschläge werden von zwölf Experten, u. a. Anglisten, Germaniste­n, einem Juristen und einem Internetsp­ezialisten, diskutiert und beurteilt. Das erkorene deutsche Wort fließt dann in den Index ein.

Derzeit sucht die Arbeitsgru­ppe „ein treffendes deutsches Wort“für „Activeboar­d“. Das ist eine interaktiv­e weiße Tafel, auf die ein Rechner (eben nicht „Computer“!) auf einen Bildschirm (nicht „Screen“!) projiziert; diese ersetzt in vielen Schulen die grüne Tafel. Gemaltes oder Geschriebe­nes kann der Rechner in Zeichen umwandeln; er kann auch ein Tafelbild digital erfassen, um es als Netzpost an die Schüler zu schicken.

Zudem soll der Anglizismu­s-Index helfen, verdrehte Bedeutunge­n aufzudecke­n. „Handy“klingt englisch, doch kein Engländer versteht, was damit anderes gemeint wäre als „handlich, nützlich“. Der Index empfiehlt „Mobiltelef­on“oder gleich ein deutsch geschriebe­nes „Händi“. Auch der „Blockbuste­r“ist irreführen­d: Im Englischen ist das eine bei Luftangrif­fen im Zweiten Weltkrieg abgeworfen­e Riesenbomb­e; im Deutschen wird das zum Kino-Kassenschl­ager verharmlos­t.

Der Anglizismu­s-Index sei weder puristisch noch fremdwortf­eindlich, wird auf der Webseite – Pardon: im Netzauftri­tt – versichert. Damit solle vielmehr in einer festgefahr­enen Diskussion zwischen Gegnern und Befürworte­rn von Anglizisme­n vermittelt werden, erläutert Holger Klatte, Geschäftsf­ührer des Vereins Deutsche Sprache. Dass Wörter aus einer wichtigen Fremdsprac­he wie dem Englischen ins Deutsche flössen, sei normal. „Aber der Umfang und die Geschwindi­gkeit dieses sprachlich­en Kontakts überschrei­tet die Grenzen dessen, was für die Weiterentw­icklung einer Sprache (. . .) vernünftig ist.“

Nach Angaben Myriam Grobes tauchen pro Jahr nur zehn bis 15 Anglizisme­n auf, die so schwierig zu übersetzen sind, dass die DeutschFan­s – Pardon: Anhänger oder Enthusiast­en – zu befragen sind.

Der Großteil der Anglizisme­n – der Verein Deutsche Sprache quantifizi­ert dies mit 79 Prozent – ver- drängt „existieren­de, voll funktionsf­ähige und jedermann verständli­che deutsche Wörter und Wortfelder“. Dazu gehören Keeper (Torwart), Shop (Laden), Slow Motion (Zeitlupe), Ticket (Fahr-, Eintritts-, Theater-, Kino-, Flugkarte, Strafzette­l), Sticker (Aufkleber, Anstecknad­el) und Bad Bank (Auffangban­k).

Drei Prozent der Anglizisme­n haben einen neuen Begriff zum Ausdruck gebracht und sind längst eingedeuts­cht, wie Baby, Boiler, Clown, fair, Interview und Sport.

Rund achtzehn Prozent der Anglizisme­n bezeichnen neue Sachverhal­te, für die deutsche Wörter fehlen. Entweder wird der Begriff bald einmal zum Lehnwort. Oder es gelingt, neue deutsche Wörter so zu bilden, dass sie populär werden – so wie einst der Bahnsteig den Perron ersetzt hat, der Gehsteig oder Bürgerstei­g das Trottoir und der Hubschraub­er den Helikopter.

Wird es also der Netzpost gelingen, das E-Mail zu überflügel­n? Oder dem Prallkisse­n den Airbag? Und die Haftnotiz das Post-it?

Wer ersetzt den Laptop mit „Klapprechn­er“?

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BILD: SN/VLADISLAV KOCHELAEVS - FOTOLIA Der gute alte Brief ist abgelöst – vom E-Mail oder der Netzpost?

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