Das E-Mail soll zur Netzpost werden
Mehrere Tausend Liebhaber des Deutschen versuchen, die Flut von Anglizismen einzudämmen.
Es ist hip geworden, die Sprache mit Anglizismen zu spicken. Liebhaber des Deutschen bemühen sich, für jedes einsickernde englische Wort eine Alternative zu bieten.
Wir mailen und SMSen, statt zu korrespondieren. Der Ausverkauf ist längst out, dafür kleben rote Sticker mit „sale“auf Shop-Fenstern. Denn für viele ist es hip geworden, die Sprache mit Anglizismen zu spicken. Zudem fehlen für viele Neuigkeiten und Besonderheiten angemessene deutsche Vokabel – vor allem in Neuen Medien (wie chatten und mailen) und in der Finanzwelt (wie Swap, Cashflow oder Performance).
Auch in Kunst und Kultur macht sich Englisches breit: „Piano Pieces“nennt das Salzburg Museum seine Ausstellung mit und über Klaviere. „Young Conductors Award“heißt der Jungdirigenten-Wettbewerb der Salzburger Festspiele. „Ideas for change“wählt das Museum für Angewandte Kunst (MAK) in Wien als Untertitel zur „Vienna Biennale“.
Einige Freunde der deutschen Sprache haben sich zum Anliegen gemacht, möglichst viele Anglizismen wieder auszumerzen. Dafür hat der in Dortmund ansässige gemeinnützige Verein Deutsche Sprache (VDS) eine Arbeitsgruppe eingerichtet, um für jedes ins Deutsche einsickernde englische Wort einen Gegenvorschlag zu bieten. In Zusammenarbeit mit dem Sprachkreis Deutsch in Bern und dem Verein Muttersprache in Wien arbeiten sie seit dem Jahr 2000 an einem „Anglizismus-Index“, gleichsam einem Wörterbuch Newspeak-Deutsch.
Die auf jüngsten Stand gebrachte Buch-Edition mit rund 7500 Einträgen ist vor Kurzem in den Buchhandel gekommen. Zudem lässt sich im Index auch via Internet in der Wörterliste von www.anglizismenindex.de kostenlos nachschlagen.
Manches darin vorgeschlagene Wort klingt fremd: Wer mag das E- Mail mit „Netzpost“ersetzen? Das Junk-Mail mit „Ramschpost“? Den Spam mit „Netzpostmüll“? Oder gar den Shitstorm mit „Empörungswelle“oder „Entrüstungssturm“? Und den Laptop mit „Klapprechner“?
Dabei ist die Arbeitsgruppe offenbar redlich und demokratisch bemüht, passende Wörter zu finden oder zu erfinden. Jeder Sprachbegeisterte kann Vorschläge für Änderung und Ergänzung der Wörterliste via Internet übermitteln. Und für einzelne knifflige Fälle heißt es dann: „Liebe Leute, helft uns!“, wie es Myriam Grobe, Herausgeberin des Anglizismus-Index, schildert.
Da werden 36.000 Vereinsmitglieder sowie die Adressaten des VDS-Infobriefs per E-Mail – Pardon: Netzpost – um Ideen gebeten. Die Vorschläge werden von zwölf Experten, u. a. Anglisten, Germanisten, einem Juristen und einem Internetspezialisten, diskutiert und beurteilt. Das erkorene deutsche Wort fließt dann in den Index ein.
Derzeit sucht die Arbeitsgruppe „ein treffendes deutsches Wort“für „Activeboard“. Das ist eine interaktive weiße Tafel, auf die ein Rechner (eben nicht „Computer“!) auf einen Bildschirm (nicht „Screen“!) projiziert; diese ersetzt in vielen Schulen die grüne Tafel. Gemaltes oder Geschriebenes kann der Rechner in Zeichen umwandeln; er kann auch ein Tafelbild digital erfassen, um es als Netzpost an die Schüler zu schicken.
Zudem soll der Anglizismus-Index helfen, verdrehte Bedeutungen aufzudecken. „Handy“klingt englisch, doch kein Engländer versteht, was damit anderes gemeint wäre als „handlich, nützlich“. Der Index empfiehlt „Mobiltelefon“oder gleich ein deutsch geschriebenes „Händi“. Auch der „Blockbuster“ist irreführend: Im Englischen ist das eine bei Luftangriffen im Zweiten Weltkrieg abgeworfene Riesenbombe; im Deutschen wird das zum Kino-Kassenschlager verharmlost.
Der Anglizismus-Index sei weder puristisch noch fremdwortfeindlich, wird auf der Webseite – Pardon: im Netzauftritt – versichert. Damit solle vielmehr in einer festgefahrenen Diskussion zwischen Gegnern und Befürwortern von Anglizismen vermittelt werden, erläutert Holger Klatte, Geschäftsführer des Vereins Deutsche Sprache. Dass Wörter aus einer wichtigen Fremdsprache wie dem Englischen ins Deutsche flössen, sei normal. „Aber der Umfang und die Geschwindigkeit dieses sprachlichen Kontakts überschreitet die Grenzen dessen, was für die Weiterentwicklung einer Sprache (. . .) vernünftig ist.“
Nach Angaben Myriam Grobes tauchen pro Jahr nur zehn bis 15 Anglizismen auf, die so schwierig zu übersetzen sind, dass die DeutschFans – Pardon: Anhänger oder Enthusiasten – zu befragen sind.
Der Großteil der Anglizismen – der Verein Deutsche Sprache quantifiziert dies mit 79 Prozent – ver- drängt „existierende, voll funktionsfähige und jedermann verständliche deutsche Wörter und Wortfelder“. Dazu gehören Keeper (Torwart), Shop (Laden), Slow Motion (Zeitlupe), Ticket (Fahr-, Eintritts-, Theater-, Kino-, Flugkarte, Strafzettel), Sticker (Aufkleber, Anstecknadel) und Bad Bank (Auffangbank).
Drei Prozent der Anglizismen haben einen neuen Begriff zum Ausdruck gebracht und sind längst eingedeutscht, wie Baby, Boiler, Clown, fair, Interview und Sport.
Rund achtzehn Prozent der Anglizismen bezeichnen neue Sachverhalte, für die deutsche Wörter fehlen. Entweder wird der Begriff bald einmal zum Lehnwort. Oder es gelingt, neue deutsche Wörter so zu bilden, dass sie populär werden – so wie einst der Bahnsteig den Perron ersetzt hat, der Gehsteig oder Bürgersteig das Trottoir und der Hubschrauber den Helikopter.
Wird es also der Netzpost gelingen, das E-Mail zu überflügeln? Oder dem Prallkissen den Airbag? Und die Haftnotiz das Post-it?
Wer ersetzt den Laptop mit „Klapprechner“?