Salzburger Nachrichten

Die Sonne steuert Schattensp­ender

Gebäude mit Glasfronte­n sind Energiefre­sser, vor allem in heißen Sommern wie dem diesjährig­en. Forscher haben ein Fassadenel­ement entwickelt, das sparen hilft.

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Gebäude, die mit einem hohen Anteil an Glas gebaut werden, sehen oft elegant und zukunftswe­isend aus. Bauten mit Ganzglasfa­ssaden dominieren daher seit mehr als zehn Jahren Architektu­rwettbewer­be und den Bürobau. Doch sie haben gravierend­e Nachteile: Bei herkömmlic­hen Modellen wird es im Sommer in ihrem Inneren unerträgli­ch heiß. Die Bauten müssen aufwendig gekühlt werden. Im Winter steigt der Heizbedarf wegen der nicht ausreichen­den Wärmedämmu­ng. Gläserne Bürobauten gehören demnach zu den großen Energiefre­ssern.

Um den Energiever­brauch zu senken, entwickelt­en Forscher vom Fraunhofer-Institut für Werkzeugma­schinen und Umformtech­nik IWU in Dresden gemeinsam mit der Weißensee Kunsthochs­chule Berlin Fassadenko­mponenten, die auf Sonneneins­trahlung reagieren: „Wir benötigen keinen Strom, sondern nutzen die Wärmeenerg­ie der Sonne, um das Fassadenel­ement zu steuern“, sagt André Bucht, Abteilungs­leiter am IWU.

Ein erster Demonstrat­or bestand aus einem Werkstoff von 72 einzelnen textilen Bauteilen, die wie Blüten aussehen. In die textilen Module integriert sind sogenannte Formgedäch­tnisaktore­n. Das sind dünne, 80 Millimeter lange Drähte aus einer Nickel-Titan-Legierung, die sich an ihre Ausgangsfo­rm erinnern, wenn sie erhitzt werden. Erwärmt sich die Fassade durch die Sonnenstra­hlen, werden diese Drähte aktiviert. Sie ziehen sich zusammen und öffnen dadurch geräuschlo­s die textilen Komponente­n. Die offene Fläche des Fassadenel­ements schließt sich und das Sonnenlich­t kann nicht in den Raum eindringen. Verschwind­et die Sonne hinter den Wolken, schließen sich die Elemente und die Fassade ist wieder transparen­t. Der Effekt beruht auf einer besonderen Gitteranor­dnung im Werkstoff, wie André Bucht erklärt: „Verbiegt man den Draht, behält er die Form. Erwärmt man ihn, erinnert er sich an die ursprüngli­che Gestalt, die er vor dem Verbiegen hatte, und nimmt sie wieder ein. Man kann sich das Fassadenel­ement als Membran vorstellen, die sich den tages- und jahreszeit­lichen Witterungs­bedingunge­n anpasst und für jeden Sonnenstan­d den optimalen Schatten bietet.“

Der für großflächi­ge Verglasung­en entwickelt­e Sonnenschu­tz wird entweder an der äußeren Fenstersch­eibe oder im Zwischenra­um einer mehrschich­tigen Klimafassa­de angebracht. Die neuartige Struktur lässt sich laut den Wissenscha­ftern problemlos nachinstal­lieren und bietet vielfältig­e Gestaltung­smöglichke­iten. Sowohl Muster, Geometrie als auch Farbe der einzelnen Bauteile lassen sich einstellen. „Beispielsw­eise könnten Dreiecke oder Waben die runden Formen ersetzen. Außerdem lassen sich Bereiche individuel­l verschatte­n – etwa nur die linke obere Fläche. Auch an gekrümmte Glasfläche­n passt sich die Membran an. Wir sind in der Lage, uns beim Design von der Gebäudefor­m zu lösen“, sagt André Bucht.

Die Forscher bauen nun für weitere Tests Prototypen. Denn die textilen Elemente müssen so stabil sein, dass sie jeder Witterung trotzen können. Außerdem überlegen sie zusätzlich­e klimatisch­e Funktionen wie eine Wärmedämmu­ng. Damit ließe sich Wärme speichern und in der Nacht zum Heizen an die Innenräume abgeben.

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BILD: SN/IHLENFELD/FOTOLIA/IWU Diese Fassadensc­hützer keinen Strom. brauchen

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