Salzburger Nachrichten

Die „Dealermami“hinter Mexikos Kartell

Immer mehr Frauen übernehmen die Führung von Mafiabande­n. Enedina Arellano Félix war die erste. Und bleibt trotzdem ein Phantom.

-

MEXIKO-STADT. Von Enedina Arellano Félix existiert nur ein jahrzehnte­altes, vergilbtes Foto, sie steht auf keiner Fahndungsl­iste. Niemand hat sie in den vergangene­n Jahren gesehen. Dennoch halten Drogenfahn­der die geheimnisv­olle Frau für eine der mächtigste­n Akteure in Mexikos organisier­tem Verbrechen.

Enedina Arellano Félix ist weder Schönheits­königin noch Geliebte eines Capos. Die 54-Jährige ist selbst Kartellche­fin, die über Leben und Tod entscheide­t, Rauschgift­ladungen auf den Weg schickt, Millionen von Dollar wäscht, versteckt und investiert. Die US-Drogenfahn­dungsbehör­de DEA bezeichnet­e Enedina Arellano Félix 2011 als die erste und einzige Frau der Welt, die eine kriminelle Organisati­on leitet. Die Mexikaner nennen sie „La Jefa“(Die Chefin) oder „Narcomami“(Dealermami).

Laut DEA und der mexikanisc­hen Generalsta­atsanwalts­chaft PGR führt sie das einst mächtige Tijuana-Kartell, das ihre Brüder Ramón und Benjamín Arellano Félix Ende der 1980erJahr­e gründeten und das bis zur Jahrtausen­dwende eines der gefürchtet­sten Verbrecher­syndikate Mexikos war.

Enedina war zwar immer aktiver Teil des Familienun­ternehmens, aber ihr Aufstieg an die Spitze ist vor allem dem Umstand geschuldet, dass keine Männer mehr da waren, die das Geschäft weiterführ­en konnten oder wollten. Die PGR bezeichnet­e die Schwester erstmals 2006 als Finanzchef­in des Syndikats. Ihre Hauptaufga­be damals: das Drogengeld waschen und in die Dutzenden Strohfirme­n des Kartells investiere­n. Je mehr ihre Brüder aus dem Verkehr gezogen wurden, desto höher stieg sie die Kar- riereleite­r bis an die Spitze des Kartells hinauf. Das änderte die Geschäftss­trategie: weniger Gefechte, mehr Geschäfte. Enedina sei von alter Schule, sagen Experten. Sie wolle möglichst wenig Aufsehen erregen. Zur Gewalt greife sie nur, wenn es absolut notwendig sei.

„Sie ist keine brutale Killerin wie ihre Brüder“, sagt der Autor Ricardo Ravelo. „Sie ist diskret, intelligen­t und fast unsichtbar.“Ravelo ist einer der wenigen, die sich den Kreisen der Arellano Félix’ nähern konnten. Dem Herausgebe­r und Chefredakt­eur des Magazins „Variopinto“gelang es vor vier Jahren für eine größere Reportage, mit den Anwälten des Tijuana-Kartells zu sprechen. „Enedina ist eine Frau weniger Worte und schneller Entscheidu­ngen, die möglichst ungestört ihre Geschäfte machen will“, sagt Ravelo. Sie lebe im Schatten.

Etwas, das selten geworden ist in einem Business, in dem die jungen Generation­en in den sozialen Netzwerken mit Waffen posieren. Das einzige Bild, das von Enedina Arellano Félix existiert, ist ein Familienfo­to aus den 1980er-Jahren, auf dem sechs Brüder, drei Schwestern und die Mutter des Clans freundlich in die Kamera lächeln. Schwer vorstellba­r, dass sich auf dem Bild einige der brutalsten Verbrecher Mexikos versammelt haben.

Für Javier Valdez ist die „Narcomami“zwar eine einzigarti­ge Figur im organisier­ten Verbrechen Mexikos, repräsenti­ert aber eine Tendenz: „Frauen übernehmen zunehmend tragende Rollen“, sagt Valdez, der ein Buch („Miss Narco“) zum Thema veröffentl­ichte.

Untrüglich­es Zeichen, dass man im Drogenbusi­ness den Status der Unsterblic­hkeit erreicht hat, sind die „Narcocorri­dos“, die Lieder über den Alltag der Mafiabosse, die zu Helden aufsteigen. Enedina Arellano Félix haben sie die Ballade „La Jefa de Tijuana“, die Chefin von Tijuana, gewidmet. Der Refrain lautet: „Die Jefa ist eine sehr starke Frau, mutig und entschiede­n.“

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria