London will nun Syrer aufnehmen
Das Bild eines ertrunkenen Flüchtlingskindes machte das Maß voll. Die Stimmung in Großbritannien scheint zu kippen. Nun legt der Premier eine Art Kehrtwende hin.
LONDON. Die Taktik der britischen Regierung hieß bisher Abschreckung. „Menschenschwärme“auf dem Mittelmeer, so nannte Premierminister David Cameron die Flüchtlinge. Mit Zäunen und Polizisten wollte er die Grenzen dichtmachen, mit einer scharfen Rhetorik die Menschen davon abhalten, durch den Eurotunnel unter dem Ärmelkanal auf die Insel zu kommen. Statt sie „Flüchtlinge“zu nennen, wurde der im Königreich negativ besetzte Reizbegriff „Migranten“benutzt. Doch dann schockierte das Bild des ertrunkenen Flüchtlingskindes die Briten und alles scheint anders. Am Freitag kündigte Cameron an, Großbritannien wolle meh- rere Tausend Menschen aufnehmen, die aus Syrien geflohen sind.
Der Druck auf Westminster ist immer stärker geworden. Zum einen hagelte es scharfe Kritik von den anderen EU-Mitgliedsstaaten, die forderten, dass Großbritannien seinen Teil zur Lösung der Krise beitragen müsse. 2015 hat die Insel lediglich 216 syrische Flüchtlinge aufgenommen, in den vergangenen vier Jahren waren es laut offiziellen Angaben insgesamt etwa 5000.
Doch es war vor allem der innenpolitische Druck, dem Cameron nicht mehr standhalten konnte. Sowohl die Opposition als auch der Erzbischof von Canterbury, Justin Welby, beklagten die britische Verweigerung. Das geistliche Oberhaupt der Kirche von England sagte, sein Herz sei gebrochen. Selbst bisherige Befürworter des harten Asylkurses wie einige Tory-Parlamentarier oder konservative Medien forderten nun einen Kurswechsel. Mehr als 370.000 Menschen haben bis Freitagabend in einer Petition Regierung und Abgeordnete aufgefordert, mehr Flüchtlinge ins Land zu lassen.
Bedeutet die Ankündigung Camerons nun eine Wende in der britischen Asylpolitik? Nicht ganz. Großbritannien werde seiner moralischen Verantwortung nachkommen, versprach Cameron. Doch London will nicht jene Flüchtlinge aufnehmen, die in Calais ausharren, sich in Budapest in überfüllte Züge quetschen oder an den Stränden von Italien und Griechenland voller Hoffnung ankommen. Man plane, Menschen Asyl zu gewähren, die in Lagern nahe der syrischen Grenze leben. „Das gibt ihnen einen direkteren und sichereren Weg ins Vereinigte Königreich, statt eine gefahrvolle Reise zu riskieren, die tragischerweise so vielen das Leben gekostet hat“, sagte Cameron. Es soll niemand motiviert werden, die Reise nach Europa anzutreten. Cameron betonte jedoch auch, dass man an einer langfristigen Lösung der Krise arbeite. „Das bedeutet, die Konflikte zu beenden, die so viele Menschen fliehen lassen – einschließlich des Blutbads, in dem Syrien versunken ist.“Wie viele Flüchtlinge Großbritannien genau aufnehmen will, soll nächste Woche bekannt gegeben werden. Für David Cameron ist es ein schmaler Grat. Die zahlreichen EU-Gegner auf der Insel lehnen die Asylpolitik Brüssels ab und schimpfen auf die steigenden Einwandererzahlen. Nigel Farage, Chef der rechtspopulistischen Anti-EU-Partei Ukip, warf Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel vor, sie heize die Flüchtlingskrise an. Mit ihrer Ankündigung, Deutschland werde mehr Asylsuchende aufnehmen, habe sie die Flüchtlingswelle nur verstärkt.