Russland hebt das Chaos auf Weltniveau
MOSKAU, DAMASKUS. Zu sehen sind die neuesten Schützenpanzer der russischen Armee vom Typ BTR82A. Zu hören sind russische Kommandos. Die britische Zeitung „The Times“präsentierte einen dreiminütigen Bericht des syrischen Staatsfernsehens. Es sollte zeigen, dass russisches Militär herumfährt. Es sei unklar, ob es sich um Soldaten der regulären russischen Armee handle oder um Söldner, sagte der Londoner Militärexperte Igor Sutjagin. Doch die Belege häufen sich, nach denen Kremlherrscher Wladimir Putin dem wankenden Regime Baschar al-Assads Waffenhilfe leistet. Die Russen hätten bei dem Städtchen Slanfeh etwa 40 Kilometer westlich von Latakia Straßensperren errichtet, sagte ein Sprecher der Freien Syrischen Armee. Nach Angaben der Rebellenwebsite Syria.net seien die Truppen am Aufbau einer neuen Verteidigungslinie der Assad-Streitkräfte beteiligt. Die regierungsnahe Zeitung „Al Watan“hatte Ende August berichtet, die Russen errichteten eine Militärbasis in Gabla, 25 Kilometer südlich von Latakia. Anfang September meldete die israelische Zeitung „YNET“das Eintreffen russischer Kampfjets in Syrien, die Angriffe auf die Aufständischen fliegen sollen, auch auf die Kämpfer des terroristischen „Islamischen Staats“. Und das türkische Marineportal Bosporus Naval News publizierte Fotos von Militärlastwagen und Panzerfahrzeugen, die am 20. August auf dem russischen Kriegsschiff „Nikolai Filtschenkow“bei der Fahrt durch den Bosporus fotografiert worden waren.
Moskau will das nicht bestätigen. „Glauben Sie diesen Meldungen nicht“, sagte Kremlsprecher Dmitrij Peskow. „Es gibt russische Militärberater und Ausbildner in Syrien“, sagt Adschar Kurtow vom Russischen Institut für Strategische Studien den SN. Bei den vermeintlichen Kampftruppen im Raum Lata- kia handle es sich eher um Instrukteure, die Waffen und Kampfwagen an die Syrer überführten und diese einwiesen. „Das gilt natürlich auch für Kampfjets.“Außerdem bedürfe Assad keines direkten Eingreifens Russlands, da ja schon iranische Einheiten seine Regierungstruppen unterstützten.
Andererseits geben auch russische Experten zu, dass die Lage für Assad kritisch ist. Und nachdem der Kreml seit über einem Jahr seine Militärintervention in der Ostukraine leugnet, glaubt man im Westen russischen Dementis nur noch sehr bedingt. Ein Sprecher des Weißen Hauses bezeichnete eine Militärhilfe für Syrien „destabilisierend und kontraproduktiv“. Kremlchef Wladimir Putin stritt einen Militäreinsatz ab. Ein solcher wäre „verfrüht“. In Syrien herrscht blutiges Chaos. Assads Armee, libanesische Hisbollahs und iranische Hilfskorps kämpfen gegen Rebellen, die sich in prowestliche, gemäßigt islamistische und fanatisch antiwestliche Truppen aufsplittern. Der Westen fordert Assads Absetzung und fliegt Luftangriffe gegen die Terrormiliz „Islamischer Staat“. Der Kreml hat die Politik der USA in Syrien oft als willkürlich kritisiert, und das nicht zu Unrecht. Aber dass der Kreml seine klammheimliche Teilinvasion in der Ukraine auf syrischem Boden wiederholen könnte, ist genauso selbstherrlich und bestimmt nicht klüger. Vor allem ist es gefährlich. Ein kleiner Fehler könnte einen militärischen Super-GAU auslösen. Einziger, wenn auch schwacher Trost: Bisher tun die Russen ja wieder so, als seien sie gar nicht da.