Salzburger Nachrichten

Giotto hat den Moment verewigt

Was geht beim Krönen in einem Menschen vor? Giotto hat dafür eine Bildsprach­e gefunden.

- Krönung Mariens, gemalt um 1330, Detail aus dem Baroncelli-Polyptycho­n aus Santa Croce in Florenz. Giotto – L’Italia, Palazzo Reale, Mailand, bis 10. Jänner 2016.

MAILAND. Was auf diesem Krönungsbi­ld zu sehen ist, kann als Gegenteil von Emanzipati­on verstanden werden. In „Emanzipati­on“steckt das lateinisch­e Wort für Hand („manus“); ein sich emanzipier­ender Mensch entzieht sich einer lenkenden Hand im Sinne einer Ordnung oder einer Sphäre, die Rechte und Pflichten auferlegt. Ebenfalls durch Hände, nämlich durch Auflegen der Hände auf den Kopf eines anderen Menschen, erfolgt das, was durch Emanzipati­on wieder aufgelöst würde: Diese Geste symbolisie­rt die Aufnahme in eine alle Ahnen wie alle Zukunft umfassende Sphäre. Das behutsame Handaufleg­en oder nur dessen Andeutung kann ein Segnen ebenso bedeuten wie hier ein Krönen.

In einer Krönung diese Geste der Ein- und Unterordnu­ng zu erkennen ist deshalb interessan­t, weil Krönen zum Herrschen ermächtigt – anders gesagt: Damit wird Verantwort­ung übertragen. Die Krönung verbunden mit der Symbolspra­che des Auflegens der Hände durch einen anderen vermittelt also die Autorität, im Sinne dieser vergangene­n und künftigen Ganzheit zu entscheide­n – anders gesagt: nicht selbstgefä­llig oder eigenmächt­ig, sondern moralisch zu herrschen.

Es könnte sein, dass diese – in gewisser Hinsicht unemanzipi­erte – Frau, die auf dem zentralen Bild des Flügelalta­rs gekrönt wird, sich all dessen gewahr ist, so ruhig und ernst blickt sie. Und doch vermittelt ihre Gefassthei­t, wie bewegt sie offenbar ist. Dass solch tiefe Lebendigke­it, ein solch glückhafte­r wie schwerwieg­ender Moment auf einem Stück Holz so festgehalt­en wird, dass er fast 700 Jahre später noch beeindruck­t, zeugt für eine der größten Erfindunge­n und Erneuerung­en der Bilderspra­che.

Diese hat der Italiener Giotto di Bondone (1266–1337) vollbracht, und mit einer Würdigung dieses Künstlers setzt Mailand den finalen kunsthisto­rischen Akzent im Jahr der Weltausste­llung (Expo). Dass in der soeben eröffneten Ausstellun­g „Giotto – L’Italia“im Palazzo Reale nur vierzehn Werke zu sehen sind, erscheint aufs Erste unspektaku­lär. Außergewöh­nlich ist dies allerdings deshalb, weil Giottos Schaffen sonst an seinen Fresken zu studieren ist – wie in Padua, Assisi oder Florenz. Hier in Mailand ist Giottos Kunst überwiegen­d anhand von Tafelbilde­rn zu erleben – von Frühwerken wie der Madonna von San Giorgio alla Costa aus 1288 bis zum Flügelalta­r (Polyptycho­n) der Madonna mit Kind von Bologna aus 1333. Leihgaben kommen unter an- derem aus dem Vatikan, den Uffizien, San Diego und einer Privatsamm­lung.

Die für die Renaissanc­e bahnbreche­nde Innovation Giottos bestand darin, dass er statt statischer Bildikonen im byzantinis­chen Stil erzähleris­che Szenen malte. Er begann, Bildfläche­n in Räume aufzulösen. Den Eindruck von Lebendigke­it erzeugte er durch prägnante Farben wie präzise Mimik und Gestik, die blitzhafte, von großer Emotion begleitete Ereignisse ausdrücken – Anblick eines Toten, Anblick eines Neugeboren­en, Wiedersehe­n, Verkündigu­ng, Erleuchtun­g, Verrat.

Die zu krönende Frau hüllt er in einen zarten, verletzlic­hen Schleier, dessen Faltenwurf schon bei kleiner Bewegung nicht mehr so ebenmäßig wäre. Er gibt ihr einen präsenten Blick und ein anmutig junges Gesicht. All dies steht für Vergänglic­hkeit, doch Giotto vermochte als Erster das Vergänglic­he der großen Augenblick­e zu verewigen.

Ausstellun­g:

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BILD: SN/ELECTA LIBRI/FIRENZE/MONDADORI PORTFOLIO/DOMENICO VENTURA
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